Das Verbreitungsgebiet des Wildesels deckte sich im Altertum in etwa mit dem des Trampeltiers und reichte vom Nahen Osten bis weit nach Zentralasien. Heute gibt es nur noch in der Wüste Gobi (Mongolei, Nordchina) größere, freilebende Bestände. Immerhin leben in der israelischen Negev-Wüste im Hai-Bar-Naturreservat inzwischen wieder etwa 500 Tiere.
Wie bei den meisten Paarhufern sind auch die Verwandtschaftsverhältnisse der verschiedenen Pferdeartigen (Equidae) sehr verworren. Pferde, Esel, ihre wilden Vettern und Zebras liegen genetisch so eng beieinander, dass schon mehrfach Einteilungen vorgenommen und wieder verworfen wurden. Dies ist auch nicht überraschend, da sie einen Grundtyp bilden, der durch vielfältige Kreuzungen miteinander verbunden ist.

steppen:stämme
Aktuell sieht man den Asiatischen Wildesel (Equus hemionus) als eine einzige Art an. Die Unterschiede zwischen den geographisch weit zerstreuten Populationen lägen damit auf der Ebene von Rassen, wobei im Nahen und Mittleren Osten der Syrische Wild- oder Halbesel, Hemippe oder Onager (Equus hemionus hemippus) und in den zentralasiatischen Steppen der Mongolische Wildesel oder Kulan (Equus hemionus kulan) dominieren. Heute werden im israelischen Wildreservat Hai-Bar Jotvata neben den Asiatischen auch Afrikanische Wildesel (Equus africanus somaliensis) gehalten, die aber wahrscheinlich nie in Israel heimisch waren.

In der Bibel wird der Wildesel meistens mit dem hebräischen Wort pere (10x) bezeichnet, das in Hiob 39,5 in poetischer Variation zusammen mit der Bezeichnung arod vorkommt. Das aramäische Pendant dazu ist arad (Dan 5,21). Es kommt auch als Bezeichnung der Region Arad in der Negevwüste vor (5x). Da es sich um eine der südlichsten Siedlungen Israels handelt, die tatsächlich im »Wildeselland« lag, ist dieser Zusammenhang naheliegend. Der Personenname »Piream« (Jos 10,3) ist eine poetische Ableitung von pere mit der wörtlichen Bedeutung »Umherschweifender«. Mit ajir pere (Hi 11,12) wird das Wildeselsfohlen bezeichnet.

agro:biologisch
Ähnlich wie beim Wildochsen findet sich auch für den Wildesel eine treffende Beschreibung im Buch Hiob. In der »Schöpfungsrede« Gottes heißt es: »Wer hat den Wildesel frei entsandt, und wer gelöst die Fesseln des Wildlings, zu dessen Haus ich die Steppe gemacht habe und zu seinen Wohnungen das Salzland? Er lacht über das Getümmel der Stadt, das Geschrei des Treibers hört er nicht. Was er auf den Bergen erspäht, ist seine Weide, und allem Grünen spürt er nach« (Hi 39,5-8). Mit dem Hausesel, der domestizierten Form dieses Huftiers, war Hiob bestens vertraut. Zu seinem Besitz zählten 500 Eselinnen (Hi 1,3). Er kannte Esel als verlässliche und ausdauernde Arbeitstiere, die vielleicht mitunter etwas störrisch sind, sich aber grundsätzlich dem Willen des Menschen unterordnen. Einen ganz anderen Charakter zeigt der biologisch eng verwandte Wildesel, von dem hier die Rede ist. Im Gegensatz zu den anderen Pferdeartigen, die allesamt Herdentiere sind, ist er ein Einzelgänger. Er ist dafür berüchtigt, sein Territorium aggressiv gegen jeden Eindringling zu verteidigen. Dabei schreckt er nicht einmal vor Menschen zurück, sodass mancher Wanderer schon übel attackiert wurde. Durch dieses Verhalten wurde er zu einem Sinnbild für Wildheit und Angriffslust.

Sein Lebensraum ist die Steppe und Wüste, den Kulturraum des Menschen meidet er. Man würde vermuten, er sehne sich nach einer ordentlichen täglichen Futterportion, satten Weiden und einem sicheren Stall, aber für den Wildesel kommt eine derartige Lebensweise gar nicht in Frage. Er »lacht« über seine zahmen Vettern, die sich, mit Lasten schwer beladen, von schimpfenden Menschen durch enge Gassen und überfüllte Marktplätze lärmender Städte treiben lassen. Für seine Freiheit nimmt er gerne die karge Kost seiner öden Umwelt in Kauf und gibt sich mit dem zufrieden, was er an Grünzeug findet.
Mit diesen Eigenschaften ist der Wildesel ein Bild von der Natur des Menschen: »Auch ein Hohlkopf gewinnt Verstand, wenn auch der Mensch als ein Wildeselsfohlen geboren wird« (Hi 11,12). Als der babylonische König Nebukadnezar sich in seinem Stolz erhob, strafte Gott ihn mit psychischer Verwirrung, worauf er sich wie ein Tier verhielt und bei den Wildeseln wohnte (Dan 5,21). Allerdings gibt es, anders als beim Wildesel, für uns Menschen die Möglichkeit zur Besinnung (sich Gott unterwerfen und erlöst werden, vgl. 2Mo 13,13), obwohl wir unrein sind (Hi 14,14). Der Wildesel scheint ganz frei zu sein, aber in der Symbolik des Buches Hiob gibt es ein Wesen, das symbolisch Satan entspricht und über alle herrscht, die sich keiner Autorität unterordnen: Der Leviatan »ist König über alle wilden Tiere [wörtlich: über alle Söhne des Stolzes]« (Hi 41,26).

Weit darüber thront natürlich der, der auch den Leviatan (Hi 41,25) und alle Engel, inklusive derjenigen, die gegen ihn rebellieren (Hes 28,15), geschaffen hat – Jesus Christus, der »König der Könige und Herr der Herren« (Offb 19,16; vgl. Heb 1,6). Er herrscht auch über diejenigen, die Seine Herrschaft nicht anerkennen und ist nicht nur Schöpfer (Jh 1,3; Kol 1,16; Heb 1,2), sondern Erhalter aller (Apg 17,25; 1Tim 6,13; Heb 1,3). Er tränkt auch die freiheitsliebenden Wildesel in der dürren Steppe (Ps 104,11). Das ist gut zu wissen, denn die kämpferischen Grautiere können nicht nach Lust und Laune trinken, wenn sie gemeinsam an Wasserquellen mit Kamelen anzutreffen sind, weil sie mit den Kamelen verfeindet sind. Solange es genug Wasser gibt und sie sich ruhig verhalten, werden sie toleriert, aber wenn das Wasser knapp wird, verwehren die größeren und stärkeren Höckerträger ihnen den Zugang und richten sie mitunter übel zu.

wider:borstig
Äußerlich unterscheiden sich Wildesel (wie auch Wildpferde und Zebras) von den domestizierten Formen durch zwei bemerkenswerte Kennzeichen: die »Stehmähne« und den »Aalstrich«.
Die dicken, relativ kurzen Haare der Wildsesel-Mähne stehen senkrecht nach oben vom Hals ab. Der Begriff »haarsträubend« hat seine Bedeutung daher, dass die aufgerichteten Haare, besonders im Kopf- und Nackenbereich, ein deutliches Zeichen für Aggressivität und Abwehrverhalten sind. Dieses Prinzip lässt sich aus biologischer Sicht erweitern: Auch aufgespreizte Federn, Kämme, Schuppen, Stacheln usw. lassen ihren Träger größer erscheinen und zählen oft zu den »Drohgebärden«. Obwohl Frisuren den extremen Schwankungen der Modewelt unterliegen, wird ein »Bürstenschnitt« seit jeher mit einem mutigen, unabhängigen, selbstbewussten, wehrhaften und eigensinnigen Charakter assoziiert (besonders, wenn Frauen ihn tragen). Das charakterisiert auch den Wildesel – aber eine ganz andere Symbolik wird uns später beim Pferd begegnen.

Als Aalstrich, Aalstreif oder Rückgratstrich wird der dunkle, schmale Streifen auf dem Fell entlang des Rückgrats bezeichnet. Er wirkt wie eine Fortsetzung der Mähne über den ganzen Rücken und man könnte spekulieren, dass es ein Ausdruck dafür ist, dass diese Tiere geradlinig ihrem eigenen Willen folgen. Zu dieser, zugegebenermaßen etwas fantasievollen, Interpretation passt jedenfalls, dass ihr strikter Verlauf beim Hausesel im wahrsten Sinne des Wortes »durchkreuzt« wird.

best:reitender
Das ausgeprägte Territorialverhalten der männlichen Wildesel, die ein paar Hektar kahle Steppe derartig aggressiv gegen jeden Eindringling verteidigen, als würden sie einen kostbaren Schatz bewachen, wird in folgendem Vergleich über Ismael aufgegriffen: »Er wird ein Wildesel von Mann sein, im Streit mit allen und von allen bekämpft. Und all seinen Brüdern tanzt er auf der Nase herum« (1Mo 16,12 NeÜ). Auch wenn der zweite Teil des Verses etwas umgangssprachlich übersetzt ist, werden Ismael und seine Nachkommen damit treffend charakterisiert. Als größtenteils räuberisch lebende Beduinen stellten diese Wüstenbewohner eine ständige Bedrohung für die durchlaufenden Handelswege und angrenzenden Kulturräume dar (vgl. Ps 83,4-6). So wie ein Wildesel jeden angreift, der sein Revier betritt, lauerten sie Reisenden und Karawanen auf, die sich in die Wüste wagten. Da sie an die raue Umgebung gut angepasst und ortskundig waren, konnten sie sich nach einem Überfall schnell wieder in schwer zugängliche Schlupfwinkel zurückziehen.

Die Gleichsetzung der Araber mit den Nachkommen Ismaels ist weit verbreitet, aber stark vereinfacht. Der Beginn dieser Familiengeschichte mit zwölf Söhnen, aus denen sich zwölf Stämme entwickeln (1Mo 25,16), ähnelt zwar der Geschichte des Volkes Israel – aber im Gegensatz zu Jakobs Familie, aus der ein Zwölfstämmevolk (gr. dodekaphylon, Apg 26,7) entsteht, lösen sich die Ismaeliten in multiethnische und zumeist miteinander verfeindete Gruppen auf. Der Begriff »Araber« bedeutet genau das: »gemischte Völker« (vgl. 1Kön 10,15 ÜElb). In dem »Jubiläenbuch«, einer jüdischen Schrift aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr., heißt es: »Ismael und seine Söhne sowie die Söhne der Ketura und deren Söhne zogen miteinander und wohnten von Paran bis zum Eingang von Babylon, in dem ganzen Land gegen Osten, der Wüste zu. Und sie vermischten sich miteinander und wurden Araber und Ismaeliter genannt.« Andere historische Quellen belegen ebenfalls, dass es zu weiteren Vermischungen mit den umliegenden Völkern kam.
Wenn auch direkte ethnische Verbindungen späterer Populationen zu den alten Stämmen nicht so einfach nachzuweisen sind, zieht sich doch die Feindschaft dieser Völker Israel gegenüber von biblischer Zeit her bis in die Gegenwart hinein. Diese uralte Feindschaft hat eine geistliche Bedeutung: »In der Schrift wird doch berichtet, dass Abraham zwei Söhne hatte; die Mutter des einen war eine Sklavin, die Mutter des anderen war eine freie Frau. Und zwar wurde der Sohn der Sklavin infolge von menschlich-eigenmächtigem Handeln geboren, der Sohn der Freien hingegen aufgrund einer Zusage Gottes. Das Ganze kann sinnbildlich verstanden werden, nämlich so, dass es sich bei den beiden Frauen um zwei Bündnisse handelt. Der eine Bund, am Sinai geschlossen, bringt Sklaven hervor; er wird von Hagar repräsentiert. »Hagar« steht für den Berg Sinai in Arabien und entspricht dem jetzigen Jerusalem; denn dieses Jerusalem lebt mit seinen Kindern in der Sklaverei. Das Jerusalem im Himmel dagegen ist frei, und dieses Jerusalem ist unsere Mutter. […] Ihr nun, Geschwister, gehört – genau wie Isaak – zu den Kindern, die Gott versprochen hat; ihr verdankt euer Leben der Zusage Gottes. Und genau wie damals der Sohn, der infolge von menschlich-eigenmächtigem Handeln geboren wurde [= Ismael], den Sohn verfolgte, der durch das Wirken von Gottes Geist zur Welt kam [= Isaak], genauso ist es auch heute« (Gal 4,22-29 NGÜ).
In diesem Abschnitt bekommt die historische Realität einen tieferen »bildlichen Sinn« (gr. allegoroumena, V. 24). Tatsächlich gibt es kaum ein besseres Beispiel für biblische »Allegorie«. Die »Wildesel-Natur« passt zu den Begriffen der einen Seite: »Gesetz, Sklaverei, Sohn der Sklavin (Ismael), nach eigenem Willen (Fleisch, vgl. Röm 9,7.8), Hagar, Arabien, Sinai, irdisches Jerusalem, alter Bund, Judentum, Verfolger«, während auf der anderen Seite »Gnade, Freiheit, Sohn der Freien (Isaak), nach Gottes Verheißung (Geist), Sara, himmlisches Jerusalem, neuer Bund, Gemeinde, Verfolgte« stehen.
stuten:routen
Erst in jüngster Zeit fand man heraus, dass sich weder die afrikanischen noch die zentralasiatischen Wildeselhengste, sondern nur die Unterart der vorderasiatischen Onager, die auch in Israel heimisch waren, territorial verhalten. Der Besitz eines eigenen Reviers ist bei ihnen Voraussetzung für die Paarung. Die dominanten Hengste der anderen Arten müssen die Stuten ihres Harems erst verfolgen und in wilden Kämpfen unterwerfen, bevor sie sie begatten können. Die Onager-Hengste dagegen leben als Einzelgänger und verlassen ihr Hoheitsgebiet, das bis zu 25 Quadratkilometer groß sein kann, normalerweise nicht. Deswegen sind es hier die rossigen Stuten, die umherstreifen, sie mit heiseren Brunstrufen anlocken und sich bereitwillig decken lassen. Die schwächeren Hengste aller Arten streifen in Junggesellengruppen umher und warten auf eine Gelegenheit, einen Stutenharem zu übernehmen oder ein Revier zu erobern.

Das Paarungsverhalten dieser scheuen Tiere ist nur schwer zu beobachten, wird aber in der Bibel bereits beschrieben. Ähnlich wie bei dem Vergleich mit der jungen Kamelstute setzt der Prophet Jeremia das Verhalten der Onager-Stuten mit dem Götzendienst Israels gleich: »Du bist wie eine Wildeselin, die alle Fährten in der Wüste kennt; vor lauter Gier schnappt sie nach Luft und ist von niemand festzuhalten. Die Hengste brauchen nicht lange nach ihr zu suchen; zur Brunstzeit lässt sie sich gerne von ihnen finden. Israel, gib acht, du läufst dir noch die Schuhsohlen durch und vom vielen Umherrennen trocknet dir die Kehle aus! Aber du sagst: Halt mich nicht auf, es hat keinen Zweck! Ich liebe die Fremden und muss ihnen nach!« (Jer 2,24.25 GN). Dies ist ein treffendes und zugleich ernüchterndes Bild für alle, die ihr Glück in sündigen Lüsten suchen statt in Gott (vgl. 1Joh 2,17).
Quellennachweis:
Geiger, G: Die Araber – Nachkommen von Ismael, dem Sohn Abrahams? Im Land des Herrn 2015; 69(4):152-156; https://www.academia.edu/19539236/Die_Araber_Nachkommen_von_Ismael_dem_Sohn_Abrahams
Geiger, G: Ismael. Diachroner Versuch einer Lokalisierung (aus: „Ägypten und Altes Testament, Band 80, S. 59-74). Münster (Ugarit) 2014
Israelnetz: Asiatische Wildesel wieder in Israel ansässig. 13.04.2022; https://www.israelnetz.com/asiatische-wildesel-wieder-in-israel-ansaessig
Junker, R; Scherer, S: Evolution. Ein kritisches Lehrbuch (S. 40, Abb. 3.18, Kreuzungsmatrix der Pferde). Gießen (Weyel) 2013; http://www.evolutionslehrbuch.info/bilder/03/ekl-03-18.php
Kaczensky, P; Walzer, C: Der Asiatische Wildesel – bedrohter Überlebenskünstler in der Wüste Gobi. Zeitschrift des Kölner Zoos 2008; 51(3):147-163
Klingel, H: Observations on social organization and behaviour of African and Asiatic Wild Asses (Equus africanus and Equus hemionus). Applied Animal Behaviour Science 1998; 60(2-3):103-113; doi: 10.1016/S0168-1591(98)00160-9
Rießler, P: Jubiläenbuch oder Kleine Genesis (dt. Übersetzung, S. 592; 20,12-13). Augsburg (Dr. B. Filser) 1928; https://de.wikisource.org/wiki/Jubiäenbuch_oder_Kleine_Genesis#20._Kapitel:_Abrahams_Vermächtnis
von Aufschnaiter, M: Der Buzzcut: Ein extrem kurzer, praktischer Haarschnitt für Männer und Frauen. aufgerufen am 17.04.2023; https://www.perfekt-schminken.de/buzzcut-frisur
Bildnachweis:
Wikipedia: Gruppe Asiatischer Wildesel / Bindu Gopal Rao // Asiatischer Wildesel – Portrait // S Ballal, Ahmedabad, India // Asiatische Wildesel Gruppe junger Hengste / Michael Oppermann
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Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/landlaeufer
