Ziegen sind bereits in den frühesten Städten und Hochkulturen nachweisbar. Seit der Mensch Tiere hält, gehören sie dazu. Da es keinen Beleg für den Übergang wildlebender Formen zu Haustieren gibt, kann man vor dem Hintergrund biblischer Kulturgeschichte annehmen, dass die Ziege bereits mit den notwendigen Merkmalen eines Nutztiers geschaffen wurde.
Wie schon im letzten Kapitel erwähnt, sind im Tribus der Ziegenartigen (Caprini) sämtliche Arten von Schafen, Ziegen und Steinböcken zusammengefasst. Da die Abgrenzungen und Verwandtschaftsverhältnisse oft unklar sind, lässt sich auch über den Ursprung der Ziegen im Nahen Osten nichts Genaues sagen. Angenommen die heute dort lebenden Formen wurden aus wilden oder verwilderten Tieren domestiziert, dann wäre die Bezoarziege (Capra aegagrus aegagrus) ihr nächster lebender Verwandter und Vorfahr.
mecker:meister
Die heutige Hausziege (Capra aegagrus hircus) tritt in einer Vielfalt von über 200 Rassen auf. Es ist kaum möglich zu rekonstruieren, welche Rassen zu biblischer Zeit verbreitet waren. Einige historische Hinweise und auch Bibelstellen (1Mo 30,32.35; Hld 1,5; 4,1) deuten darauf hin, dass die Tiere häufig schwarzes Fell hatten.

Wie bei allen Nutztieren gibt es eine Vielzahl von Begriffen, die feiner unterscheiden. Im Deutschen werden die Bezeichnungen Ziege und Geiß sowohl für die weiblichen Tiere als auch für die Art allgemein verwendet. Die erwachsenen Weibchen im Besonderen werden Geiß, Hippe oder Zicke genannt, die erwachsenen Männchen Ziegenbock, Geißbock oder einfach nur Bock. Die Jungtiere werden Geißlein, Zicklein oder Kitzlein genannt.
Auf Hebräisch lautet die allgemeine Bezeichnung für die Ziege, die 70-mal vorkommt: ez. Wenn der Zusammenhang klar ist, kann das Wort für sich stehend auch die Haut, das gegerbte Leder oder die Haare der Ziege bezeichnen (2Mo 25,4; 26,7; 35,6.23.26; 36,14; 4Mo 31,20), ansonsten steht es für die Ziege allgemein (19x). Die Kombination aus ez und sa’ir (Haariger) bezeichnet das ausgewachsene männliche Tier, den Ziegenbock: sa’ir-ezzim. Wenn sa’ir für sich steht, wird es in der Regel mit »Bock« übersetzt und bezeichnet ebenfalls immer den Ziegenbock. Damit verbunden wurde auch das Bild zottiger Wüstendämonen (3Mo 17,7) bzw. den als Götter verehrten Bildnissen von Ziegenböcken (2Chr 11,15). Es leitet sich von se’ar (haarig, hären: 1Mo 25,25; 2Kön 1,8; Sach 13,4) ab und kommt als Ortsbezeichnung Seir (38x) und Seira (Ri 3,26) vor. Für die Schafsböcke gibt es ein anderes Wort, das zur besseren Unterscheidung meistens mit »Widder« übersetzt wird.

Daneben gibt es für den erwachsenen Ziegenbock noch das Wort tajisch (1Mo 30,35; 32,15; 2Chr 17,11; Spr 30,31). Das Wort attud (28x) wird auch für menschliche Anführer verwendet (Jes 14,9; Sach 10,3) und bezeichnet ebenso wie die Kombination von ez und za’fir, also zafir ha-ezzim (2Chr 29,21; Esr 6,17; Dan 8,5.8) die starken Leitböcke. Ein besonderer Ausdruck ist asa’sel, das im Textzusammenhang mit »Ziegenbock der Wegsendung« übersetzt werden kann (3Mo 16,8.10.26). Die Verbindung von ez mit dem Wort sira bezeichnet die ausgewachsene weibliche Ziege: se’irat-izzim (3Mo 4,28; 5,6). Die Kombination von ez und gedi bezeichnet die Jungziegen bis zum Alter von einem Jahr: gedi-ez (9x). Es wird meistens mit »Ziegenböckchen« übersetzt, umfasst aber männliche und weibliche Tiere gleichermaßen. Wenn gedi für sich alleinsteht, kann es ganz allgemein männliche oder weibliche Jungtiere von Ziege oder Schaf bezeichnen. Vermutlich wurden auch ganz junge Tiere so genannt, denn in 1. Samuel 10,3 begegnet uns ein Mann, der drei Böckchen trägt. Die speziell weibliche Form dafür ist gedija (Hld 1,8). Die Kombination von ez und bene bezeichnet »Babyziegen« vor der Entwöhnung, also bis zum Alter von ungefähr sechs Monaten: bene-izzim (2Chr 35,7). Der heutige Fachbegriff dafür ist »Ziegenlamm« oder »Milchzicklein« und bezeichnet ebenfalls männliche und weibliche Tiere gleichermaßen. Der Begriff zon (247x) bezeichnet das »Kleinvieh« allgemein, also Ziegen und Schafe.
schiegen:sippe
Schafe und Ziegen werden oft in der gleichen Herde gehalten. Während Schafe hauptsächlich Gras abweiden, knabbern Ziegen auch an Sträuchern und Bäumen. Selbst auf Naturwiesen fressen sie Kräuter und stachelbewehrte Pflanzen, die die Schafe verschmähen, und in Gebirgsregionen gelangen sie mit ihren Kletterkünsten und einem ausgeprägten Balancegefühl an viele Plätze, die den Schafen nicht zugänglich sind. Somit wird das lokale Nahrungsangebot besser ausgenutzt. Außerdem haben Ziegen einen guten Orientierungssinn. Sie führen die Herde und die Schafe folgen. Zu guter Letzt sind Ziegen, besonders die starken Leitböcke, wehrhaft und verteidigen die Herde entschlossen gegen Raubtiere. In der französischen Provence lässt sich das heute noch gut studieren. Dort werden Schafe zusammen mit Rove-Ziegen gehalten. Deren Böcke erreichen eine Schulterhöhe von etwa einem Meter, werden oft über 100 kg schwer, haben eine Hörner-Spannweite von bis zu 150 Zentimetern und greifen jeden Eindringling an, der die Herde bedroht. Der Naturbeobachter Salomo beschreibt den Ziegenbock als ein Tier, das einen majestätischen und entschlossenen Gang hat (Spr 30,29.31). Das gilt besonders für Leitböcke, die deswegen auch als Bild für stolze Herrscher verwendet werden: »alle Anführer der Erde« (Jes 14,9 SB) und »Über die Hirten meines Volkes bin ich voller Zorn, und auch die Leitböcke der Herde werde ich zur Rechenschaft ziehen« (Sach 10,3).

Dass ein Schafbock nicht die gleichen Kämpferqualitäten wie ein Ziegenbock hat, lässt sich auch in dieser symbolischen Beschreibung erkennen, in der der Ziegenbock die makedonische Armee von Alexander dem Großen und der Widder das Medo-Persische Reich darstellt: »da kam ein Ziegenbock von Westen her über die ganze Erde […] bis zu dem Widder […] und er rannte ihn an im Grimm seiner Kraft. Und ich sah, wie er zu dem Widder gelangte. Und er erbitterte sich gegen ihn, und er stieß den Widder und zerbrach seine zwei Hörner; und in dem Widder war keine Kraft, um vor ihm zu bestehen. Und er warf ihn zu Boden und zertrat ihn, und niemand rettete den Widder aus seiner Hand« (Dan 8,6.7).
Auf die genetische Nähe von Ziegen und Schafen wurde bereits eingegangen. Die Vielzahl der heutigen Rassen führt auch zu Überschneidungen im Erscheinungsbild. Manche kurzfelligen Schafrassen sehen den Ziegen zum Verwechseln ähnlich. Da sie oft gemeinsam gehalten wurden und beide im alten Israel flächendeckend verbreitet waren, bleibt ohne nähere Angaben an vielen Stellen offen, ob mit dem hebräischen Wort zon, das in deutschen Bibeln oft mit »Kleinvieh« übersetzt wird, Ziegen, Schafe oder beides zusammen gemeint ist. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Ziegenartigen (Caprini) sogar um einen »geschaffenen Grundtyp«, der Ziegen, Steinböcke und Schafe umfasste. In diesem Fall sind die Unterschiede in frühester Zeit deutlich geringer gewesen. Bei der ersten Erwähnung »Abel wurde ein Hirt von Kleinvieh« (1Mo 4,2 Me) ließen sich die Tiere vermutlich noch gar nicht in das heutige Schema einordnen.

zauber:stäbe
Aus biologischer Sicht bemerkenswert ist das Vorgehen Jakobs, als er versucht, seine eigene Herde aus gefleckten, gestreiften und gesprenkelten Tieren auf Kosten seines Schwiegervaters Laban zu vergrößern (1Mo 30-31). Dazu legt er fleckige Hölzer als »Anschauungsmaterial« in die Tränke, in der Hoffnung, dadurch die Fellfärbung des Nachwuchses zu beeinflussen. Obwohl man heute tatsächlich einige epigenetische Mechanismen kennt (und viele weitere vermutet), durch die die Lebensumstände der Eltern einen direkten Einfluss auf körperliche Merkmale der Nachkommen haben, ist Jakobs Versuch eher in der Kategorie »Imaginationslehre« einzuordnen. So vermutete man früher zum Beispiel, dass Fehlbildungen der Kinder ihre Ursache in bestimmten Erlebnissen der Mütter während der Schwangerschaft hätten. Das ist generell denkbar, aber dass beispielsweise eine Frau, die durch einen aufspringenden Hasen erschrickt, deswegen ein Kind mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (früher auch »Hasenscharte« genannt) zur Welt bringt, ist »magisches Denken«. In der »Kallipädie«, der »Lehre von der Zeugung schöner Kinder«, versuchte man, sich die vorgeburtliche Beeinflussung gezielt nutzbar zu machen. Ein Beispiel dafür: In dem Roman »Die Abenteuer der schönen Chariklea« aus dem 3. Jahrhundert zeugt ein farbiges Elternpaar eine hellhäutige Tochter, weil die Mutter während der Zeugung eine weiße Marmorstatue betrachtet. Diese Ideen waren bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet. Ihr Realitätsbezug ist aber wissenschaftlich nicht belegt und höchst unwahrscheinlich.

Auch die Idee, dass pharmakologisch wirksame Substanzen aus den geschälten Stäben ins Trinkwasser gelangt und einen positiven Effekt (bessere Gesundheit, Vitalität, Potenz etc.) auf die ausgewählten Tiere gehabt haben könnten, ist nicht überzeugend. Vielmehr ist die Begebenheit wohl so zu verstehen, dass Jakob, dessen Name sich auch mit »Trickser« übersetzen lässt, sich mithilfe einer magischen Handlung das verschaffen will, was Gott ihm ohnehin zugedacht hatte (ein wiederkehrendes Motiv in seinem Leben). Laban hatte alle gefleckten und gesprenkelten Tiere für Jakob aussortiert und ließ sie in großem »Sicherheitsabstand« von drei Tagereisen treuhänderisch von seinen Söhnen hüten (1Mo 30,35.36). Jakob wusste allerdings, dass es auch in Labans bereinigter Herde mitunter fleckigen Nachwuchs geben würde (da auch bei vielen der äußerlich reinfarbigen Tiere die rezessiven Erbanlagen für fleckiges Fell vorhanden waren, was Jakob sicher noch nicht so formuliert hätte). Vielleicht kann man seinen Traum sogar als Offenbarung verstehen, in der Gott ihm zeigt, dass die aktivsten Böcke gemischtfarbig sind (was ihren Genotyp betrifft). Dass es sich bei den Gemischtfarbigen außerdem um die kräftigsten Tiere handelte, könnte durchaus mit dem rassentypischen Merkmalsmosaik zu tun haben. So wie man Jakob aus der Geschichte kennt, überrascht es jedenfalls nicht, dass er seine 14-jährige Hirtenerfahrung bei der Wahl seines Lohns einbringt. Nichtsdestotrotz war auch Jakobs Onkel Laban ein Schlitzohr (1Mo 31,41). Da hätte auch alle potenzielle Genetik-Kenntnis nicht viel gebracht, wenn Gott Jakob nicht gesegnet und vor Labans Betrug bewahrt hätte. Dies kommt darin zum Ausdruck, wie Jakob mit seinen Frauen, den zwei Töchtern Labans spricht: »Und euer Vater hat mich betrogen und hat meinen Lohn zehnmal verändert; aber Gott hat ihm nicht gestattet, mir Böses zu tun. Wenn er so sprach: Die Gesprenkelten sollen dein Lohn sein, dann gebaren alle Herden Gesprenkelte; und wenn er so sprach: Die Gestreiften sollen dein Lohn sein, dann gebaren alle Herden Gestreifte« (1Mo 31,7.8).
trot:ziege
Jedes Tieropfer in der Bibel ist ein Hinweis auf das eine vollkommene Opfer des Herrn Jesus. Ihre Fehlerlosigkeit symbolisiert Seine Unschuld und Sündlosigkeit. Einjährige Tiere weisen darauf hin, dass Er in der Mitte des Lebens stand (Lk 3,23; Jh 8,57), als Er als Opfer für uns starb. Das Bild des Passahlammes ist zwar weiter verbreitet, aber das Passahopfer konnte ebenso gut eine Ziege sein (2Mo 12,5). Beim Brandopfer (3Mo 1,10) und Schuldopfer (3Mo 5,6) unterschieden die Vorschriften für das Kleinvieh nicht zwischen Schaf und Ziege und auch beim normalen Sündopfer (3Mo 4,28.32) und beim Friedensopfer (3Mo 3,12) konnte frei gewählt werden. Auch wenn es hier eine breite Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Opfertieren gibt, hat jedes doch seine eigenen Schwerpunkte. Die Ziege steht oft in Verbindung mit der Sünde. Am »Jom Kippur«, dem großen Versöhnungstag, mussten zwei Ziegenböcke auf verschiedene Weise geopfert werden: »Und er soll die beiden Böcke nehmen und sie vor den HERRN stellen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft. Und Aaron soll Lose werfen über die beiden Böcke, ein Los für den HERRN und ein Los für Asasel. Und Aaron soll den Bock herzubringen, auf den das Los für den HERRN gefallen ist, und ihn opfern als Sündopfer. Und der Bock, auf den das Los für Asasel gefallen ist, soll lebend vor den HERRN gestellt werden, um auf ihm Sühnung zu tun, um ihn als Asasel fortzuschicken in die Wüste« (3Mo 16,8-10), »damit der Bock alle ihre Ungerechtigkeiten auf sich trage in ein ödes Land« (3Mo 16,22). Der eine Bock wird symbolisch mit den gesammelten Sünden des Volkes von einem ganzen Jahr beladen und als »Sündenbock« in die Wüste gejagt. Er trägt die Sünden weg wie unser Herr Jesus (Jes 43,25; Jer 31,34). Der andere Bock wird geschlachtet, und sein Blut wird auf den Deckel der Bundeslade gespritzt, um die Sünden des Volkes symbolisch zuzudecken, so wie Jesu Blut unsere Sünden bedeckt (Röm 4,7). Das Sündopfer für einen Fürsten, der mehr Verantwortung trug als ein »Normalbürger«, durfte nur ein Ziegenbock sein (3Mo 4,23), und auch bei anderen Opfern (vgl. 4Mo 7.29; Hes 43.45) ist nur der Ziegenbock als Sündopfer vorgeschrieben.

Es ist nicht von ungefähr, dass Ziegenböcke in verschiedenen Kulturen und auch in der Bibel mit Dämonen assoziiert werden (2Chr 11,15; Jes 13,21; 34,14) und an einer Stelle direkt so bezeichnet werden: »Sie sollen nicht mehr ihre Schlachtopfer für Bocksdämonen schlachten« (3Mo 17,7 Einh). Skulpturen und Bilder, in denen Satan bildlich dargestellt wird, zeigen ihn schon in frühchristlicher Zeit mit den typischen Kennzeichen eines Ziegenbocks (Hufe, Hörner und spitzer Bart). Auch im Neuen Testament verwendet der Herr Jesus in einer »Endzeitrede« Ziegen als Symbole für Sünder, zu denen er sagen muss: »Geht von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist« (Mt 25,41). In einem direkten Vergleich ließe es sich vielleicht so beschreiben, dass bei den wolligen, weißen, zahmen, fügsamen, geduldigen und abhängigen Schafen der Aspekt der Reinheit, Unschuld, Wehrlosigkeit und Hingabe symbolisch im Vordergrund steht. Sie zeigen den Herrn Jesus als vollkommenes und sündloses Opfer, bevor Er mit fremder Schuld beladen wurde. Die zottigen, schwarzen, unabhängigen, trotzigen und wilderen Ziegen betonen dagegen den Zeitpunkt des Opfers, wenn das Opfertier die Schuld und Sünde schon auf sich trägt und dafür ein gerechtes Gericht erleiden muss, so wie der Herr Jesus es in den drei Stunden der Finsternis am Kreuz erlitt. Die Entschlossenheit, Kraft und Widerstandsfähigkeit, mit der er die Leiden ertrug, werden durch einen Ziegenbock besser repräsentiert als durch ein Lamm. Ähnlich ist es bei dem Symbol der ehernen Schlange (4Mo 21,8; Jh 3,14), die ebenfalls darauf hinweist, dass am Kreuz auf Golgatha die Sünde der Welt auf dem Opfer lag, das dort hing, und an Ihm gerichtet wurde: »Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm« (2Kor 5,21).

Diese Symbolik scheint die Ziege gegenüber dem Schaf vielleicht abzuwerten, hat aber nichts mit einem niedrigeren Rang oder biologischer und ökonomischer »Wertigkeit« zu tun. Im Gegenteil: Ziegen haben mit fast 50% des Körpergewichts eine höhere Fleischausbeute als Schafe und geben mehr Milch. Sie sind neugieriger, intelligenter, weniger anspruchsvoll und haben ein stärkeres Immunsystem. Außerdem passen sie sich schneller an verschiedene Futterangebote und wechselnde Umweltbedingungen an, überstehen Naturkatastrophen wie Dürrezeiten, Steppenbrände und Überflutungen deutlich besser, geraten nicht so schnell in Panik und verirren sich nicht so leicht. Wo Ziegen und Schafe in der Bibel gemeinsam aufgezählt werden, sind zahlenmäßig mehr Schafe aufgeführt (1Sam 25,2; Esr 6,17; 8,35), was auf einen höheren Marktwert der Ziegen hindeutet. Im antiken Rom zeigen Abgabenlisten, dass Schaf- und Ziegenfleisch gleichwertig gehandelt wurde.

geiß:leistungsverhältnis
Es gibt heute etwa eine Milliarde Ziegen auf der Erde, und geographisch betrachtet sind sie die weltweit verbreitetsten Nutztiere. Sie können sowohl im Gebirge als auch in Steppen, Halbwüsten, Waldlandschaften, Dschungelregionen und Feuchtgebieten gehalten werden und bewegen sich auch in äußerst unwegsamem Gelände sicher. Wegen ihrer enormen Anpassungsfähigkeit wurden sie im Entdeckerzeitalter häufig als Proviant an Bord von Segelschiffen mitgeführt. Durch Auswilderung (oder auch unabsichtlich, denn Ziegen sind geschickte Ausbrecher!) wurden viele Inseln von ihnen besiedelt und es zeigte sich immer wieder, dass sie auch unter diesen völlig fremdartigen Bedingungen überleben und sich erfolgreich etablieren können. Nur in kalten Regionen haben die Schafe einen Vorteil.
Ziegen gebären gewöhnlich Zwillinge. Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Nachkommen ist natürlicherweise (wie bei fast allen Tieren) 50:50. Die Herden funktionieren aber am besten, wenn nur relativ wenig erwachsene Böcke darunter sind. In 1. Mose 32,15 finden wir sowohl für Ziegen als auch für Schafe ein Verhältnis von 1:10 – also ein Bock auf zehn Weibchen. Daraus kann man schlussfolgern, dass die Böckchen meistens schon als Jungtiere geschlachtet wurden. Das ist auch heute noch gängige Praxis, weil das Fleisch der Ziegenböcke nach der Geschlechtsreife einen strengen Geschmack und Geruch annimmt. Außerdem geben nur die Weibchen Milch und sind schon deswegen lukrativer.
Im Nahen Osten war die Ziegenhaltung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sie spielten eine wichtige Rolle als Milchproduzenten. Obwohl in der Bibel meistens nicht unterschieden wird, von welchem Tier die Milch stammt, und Ziegenmilch als solche nur in einem Vers (Spr 27,27) erwähnt wird, erfahren wir aus anderen Quellen, dass sie zusammen mit der Kuhmilch den Hauptanteil ausmachte. Heute entfallen wegen exzessiv ausgebauter Milchviehwirtschaft nur noch 2% der weltweiten Milchproduktion (immerhin 20 Millionen Tonnen) auf Ziegen. Die regionalen Unterschiede sind allerdings groß. Während der mittlere Pro-Kopf-Verbrauch von Ziegenmilch weltweit nur bei 2,6 Litern liegt, liegt er in einem typischen Ziegenparadies wie Griechenland auch heute noch bei 45 Litern pro Kopf und Jahr.

Der mittlere Milchertrag pro Tier ist sehr stark von Rasse und Ernährungsbedingungen abhängig. Die Saanenziege gilt heute als erfolgreichste Ziegenrasse der Welt und hat eine sehr gute Milchleistung. Aber während diese Tiere heute bei Freilandhaltung im trockenen Israel 310 Liter Milch pro Jahr liefern, sind es in den Niederlanden, wo das Gras das ganze Jahr lang grün und saftig ist, über 800 Liter Milch pro Jahr.
Wegen der großflächigen Rinderhaltung und intensiven Schweinemast spielt Ziegenfleisch im heutigen Welthandel so gut wie keine Rolle mehr. Zwar werden jedes Jahr 440 Millionen Tiere geschlachtet, aber das Fleisch wird überwiegend im lokalen Handel verkauft. Zu biblischer Zeit waren Ziegen allerdings die wichtigsten Fleischlieferanten.

Quellennachweis:
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Malich, L: Die Gefühle der Schwangeren: Eine Geschichte somatischer Emotionalität (1780-2010) (S. 94-104). Bielefeld (transcript) 2017
Pal, M; Dudhrejiya, P; Pinto, S: Goat Milk Products and their significance. Beverage & Food World 2027; 44(7)21-25
Raoult, CMC; Osthaus, B; Hildebrand, ACG: Goats show higher behavioural flexibility than sheep in a spatial detour task. Royal Society Open Science 2021; 8:201627; doi: 10.1098/rsos.201627
Schorch, S: A Young Goat in Its Mother’s Milk”? Understanding an Ancient Prohibition. Vetus Testamentum 2010; 60:116-130; https://www.academia.edu/4050980/A_Young_Goat_in_Its_Mothers_Milk_Understanding_an_Ancient_Prohibition_2010
Skapetas, B; Bampidis, V: Goat production in the World: present situation and trends. Livestock Research for Rural Development 2016; 28(11)1-6; https://www.lrrd.org/lrrd28/11/skap28200.html
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Bildnachweis:
Wikipedia: Bock der Rove-Ziege / Dirk Beyer // Isaak segnet Jakob / /ribera-jose-de // Isaak und die Gefleckten / ribera-jose-de // Gemälde vom Sündenbock / William Holman Hunt // Saanen-Ziegenbock / Haeferl
andere Lizenzen: Ziege mit schwarzem Fell / shutterstock ID_422651308 / CUTWORLD // Ziegen auf Arganbaum / shutterstock ID_309912197 / Yavuz Sariyildiz // Ziegenkäse / shutterstock ID_288113450 / Milosz_G
Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/landlaeufer
