Das Haushuhn (Gallus gallus domesticus) zählt heute zu den weitverbreitetsten Nutztieren und ist mit Sicherheit das zahlenmäßig häufigste Wirbeltier, das landwirtschaftlich gehalten wird. Während es nur vier Wildvogelarten gibt, von denen sich mehr als eine Milliarde Individuen auf der Erde tummeln, gibt es etwa 20 Milliarden Hühner.
Auf jeden Menschen kommen drei zeitgleich lebende und sieben in einem Jahr geschlachtete »Stück Geflügel« – wie man es agrarwirtschaftlich ausdrückt. An diesem Zahlenverhältnis lässt sich bereits erkennen, dass die meisten Tiere nicht sonderlich alt werden. Bis vor einigen Jahrzehnten sah das noch anders aus, aber heute benötigen die hochgezüchteten Fleischrassen nur noch wenige Wochen, um ihr Schlachtgewicht zu erreichen. Das Ergebnis dieser Zuchtbemühungen ist eine riesige Hühner-Vielfalt. In einer Zusammenstellung der EU-Agrarbehörde werden 215 Rassen mit insgesamt 1147 Farbschlägen aufgelistet, die im europäischen Geflügelhandel unterschieden werden.

In Ägypten ist die Hühnerhaltung spätestens seit dem Neuen Reich (ab 1550 v. Chr.) verbreitet und durch den regen Austausch wahrscheinlich auch den Nachbarvölkern bekannt. Trotzdem ist sie für Israel erst ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. nachgewiesen. Im Alten Testament werden Hühner nicht erwähnt, und wenn dort von bezim die Rede ist (5Mo 22,6; Hi 39,14; Jes 10,14) sind die Eier wilder Vögel gemeint. Obwohl es in Israel schon früher genutzt wurde, sorgten erst die Römer dafür, dass das Haushuhn in allen Teilen ihres Weltreichs fester Bestandteil des landwirtschaftlichen Nutztiersortiments wurde. Im Neuen Testament kann man davon ausgehen, dass mit oon ein Hühnerei gemeint ist (Lk 11,12), dass der Krähende alektor ein Gockel (Mt 26,34 und elf weitere Verse) und die ornis eine Glucke ist (Mt 23,37; Lk 13,34).
überwach:huhn
Die Zuchtformen des Haushuhns sind praktisch flugunfähig. Sofern man ihnen nicht durch einseitiges Entfernen der Schwungfedern »die Flügel gestutzt hat«, können sie immerhin flatternde Sprünge von einigen Metern machen, Zäune überwinden und sich auf Bäume flüchten. Im Vergleich zu ihren wildlebenden Verwandten sind sie recht arglos und werden zur leichten Beute von Raubtieren. »Sind die Hühner platt wie Teller, war der Traktor wieder schneller.« – mit dieser gar nicht soo alten Bauernregel macht man sich über die schwach ausgeprägten Fluchtinstinkte des Federviehs lustig. Trotz ihrer Wehrlosigkeit zeigt die Glucke, also die Henne in Begleitung ihrer Küken, großen Einsatz und riskiert ihr Leben, wenn es um deren Schutz und Verteidigung geht. Der Herr Jesus bezieht sich mit diesem Vergleich darauf: »Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!« (Mt 23,37; Lk 13,34). Sicherheit, Geborgenheit, Nähe, Annahme und Wärme – was die Küken unter den Flügeln ihrer Mutter finden, wollte Gott auch seinem auserwählten Volk geben.

king:cock
Die meisten deutschen Bibeln geben den zarzir matenajim (Spr 30,31) als »stolzierenden Hahn« wieder. Auch wenn diese Bezeichnung sonst nicht vorkommt und die Übersetzung daher nicht ganz sicher ist, stimmt sie mit der LXX überein und passt perfekt in den inhaltlichen Zusammenhang. Der Gockel schreitet zwischen seinen Hennen umher wie ein kleiner König. Alle erweisen ihm den gebührenden Respekt. Er wählt den höchsten erreichbaren Punkt, und sei es nur ein Misthaufen, um seinen imposanten Ruf erschallen zu lassen. Hochaufgereckt steht er dort, das leuchtendrote Kammblatt krönt sein erhabenes Haupt und die herabhängenden Kehllappen schwingen bei jedem Fanfarenstoß mit – eine absolut majestätische Erscheinung!

Der dominante Haushahn kräht zwei bis drei Stunden vor Sonnenaufgang, und zwar so pünktlich, dass dieses Signal für die Zeitrechnung verwendet werden kann. Die Mühen des Altwerdens, zu denen Schlaflosigkeit gehört, beklagt der Prediger so: »Man wird beim ersten Hahnenschrei aufstehen« (Pred 12,4 NLÜ). Griechen und Römer unterteilten die Nacht in vier »Wachen« und die dritte davon ist ebenfalls nach dem markanten Krähruf benannt: »abends [1] oder um Mitternacht [2] oder um den Hahnenschrei [3] oder frühmorgens [4]« (Mk 13,35). Auf Griechisch wird diese Zeitmarke als alektorophonia und im Lateinischen als Gallicinum bezeichnet und als Mitte zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang verstanden.

gockel:istik
Anscheinend ist der Hahn sehr sprachbegabt. Während er in Deutschland und Österreich »kikeriki«, in Spanien »quiquiriqui« und in Italien, mit leichtem Akzent »chicchirichì« ruft, tönt es in Frankreich mit »cocorico« und in Portugal mit »cocorococo« etwas sonorer. Die britischen Rooster scheinen eher zu jodeln, ihr »cock-a-doodle-doo« klingt jedenfalls ziemlich strange. Der isländische Gockel friert vielleicht, wenn er sein zungenbrecherisches »gaggalagaggalagó« ausstößt. In Skandinavien gibt es nur leicht unterschiedliche Dialekte von »kukkokeikuu« (Finnland) über »kuckeliku« (Schweden) und »kukkeliky« (Norwegen) nach »kykeliky« (Dänemark). Auch die Niederländer reihen sich mit »kükelekü« hier ein. Durch Belgien verläuft dann allerdings eine scharfe Sprachgrenze. Während die flämischen Hähne genau wie ihre niederländischen Kollegen »kükeleküen«, fallen die Wallonen mit »coutcouloudjoû« ziemlich aus dem Rahmen. Vom Baltikum durch Osteuropa bis in den Balkan scheint man sich in der Gockelei darauf geeinigt zu haben, beim k-k-r-k-Schema zu bleiben. Lediglich die Vokale variieren etwas. Dagegen merkt man sofort, dass man einen anderen Kulturraum betreten hat, wenn einem der türkische Hahn ein »u-urru-urru« entgegenschmettert und damit sogar den Muezzin übertönt.

weck:ruf
Ein Hahnenschrei hat es zu weltweiter Bekanntheit gebracht. Der Herr Jesus hatte Petrus angekündigt, dass er daran erkennen werde, »was die Stunde geschlagen hat« (Mt 26,34; Mk 14,30; Lk 22,34; Jh 13,38). Während Er in Annas‘ Haus von dem Hohenpriester verhört wurde, stand Petrus in Sichtweite draußen im Hof und leugnete dreimal, Ihn auch nur zu kennen. Es lohnt sich, die Gesamtschau dieses beschämenden Ereignisses durch den Vergleich der Berichte in den vier Evangelien zu erarbeiten (Mt 26,69–75; Mk 14,66–72; Lk 22,55–62; Jh 18,17–27). Dabei entdeckt man, dass schon nach der ersten Verleugnung ein Hahn krähte (Mk 14,68). Ein Weckruf für Petrus! Aber dieser blieb am Feuer sitzen. Nach der zweiten Verleugnung verging noch einmal etwa eine Stunde (Lk 22,59) in der Petrus zur Einsicht hätte kommen können. Noch während er das dritte Mal leugnet, kräht der Hahn und der Herr schaut ihn an. Erst da geht Petrus hinaus, bitterlich weinend und am Boden zerstört.

Es gibt weltweit über eine Million Kirchengebäude. Viele davon haben einen Glockenturm, auf dem ein Wetterhahn installiert ist. Da die Kirchturmspitze häufig der höchste Punkt der Stadt ist, eignet sie sich sehr gut dafür, denn der Hahn hat nicht nur die Aufgabe, die Windrichtung anzuzeigen, sondern soll auch als weithin sichtbares Mahnmal dienen. Petrus bereut seinen Verrat. Der auferstandene Herr begegnet ihm vor allen anderen Jüngern (Lk 24,34; 1Kor 15,5). Er vergibt ihm, rehabilitiert ihn öffentlich und überträgt ihm große Verantwortung (Jh 21,15–17). Bis zu seinem Märtyrertod war Petrus danach ein treuer Zeuge Jesu. Der Hahn auf dem Turm erinnert uns daran, dass wir uns nicht sprichwörtlich »wetterwendisch« nach dem Wind drehen, sondern unserer Glaubensüberzeugung bis zum Ende treu bleiben sollen. Allerdings haben wir die Kraft dazu nicht in uns selbst, sondern neigen wie Petrus dazu, uns gewaltig zu überschätzen.

Dieser war auch mit dem Jesus …
Manfred Siebald, 1998
Sie rieben die Hände am Feuer im Hof;
er stellte sich zitternd dazu.
Sie sprachen vom Preis für Geflügel und Vieh
und von dem Verhör, und dann wetteten sie.
Er wünschte, man ließ ihn in Ruh.
Die Flamme schlug hoch und beschien sein Gesicht;
er duckte sich etwas zu spät.
Da hatte das Mädchen, das neben ihm stand,
ihn auch schon gesehen und wiedererkannt:
Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth.
Ich kenne das alles, stand selber schon dort,
hab ungläubig alles gesehn:
Die Schuldigen zerrten mit frechem Gesicht
den eigenen Richter vor ihr Gericht,
und ich stand und ließ es geschehn.
Wie oft hab ich mich da ins Dunkel geduckt,
gehofft, dass kein Hahn nach mir kräht.
Doch dann hat man zu mir herüber geschielt,
und irgendein Finger hat auf mich gezielt:
Dieser ist auch mit dem Jesus von Nazareth.
Ich habe geschwiegen, geleugnet, geweint
und doch immer wieder gesehn:
Der, den ich verleugnete, gab mich nicht auf;
er zog mich aus Scham und aus Trauer herauf,
um neu für ihn gerade zu stehn.
Und soll ich mir wünschen, was einmal von mir
am Grab zur Erinnerung steht,
dann fällt mir trotz allem als Satz auf dem Stein
beim besten Willen kein besserer ein:
Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth.
Total versiebt – und doch geliebt
Andreas Fett, 2003
(nach dem Versagen Neues wagen)
Wenn man den Tagesinhalt siebt,
wo ich geglaubt, gehofft, geliebt,
was dann für Dich, Herr, übrigbliebe?
Auf deinem Herzen trägst Du mich.
Ertrage mich! – Ertrag für dich???
Was blieb an Glaube, Hoffnung, Liebe?
Auch durchs Verleugnen und Versagen,
willst Du mich liebevoll ertragen.
Herr, birg die Frucht, vergib die Spreu.
Du betest weiter – Du bist treu!
Und wenn Dein Blick mein Herz berührt,
mich Deine Liebe überführt,
dann wird mir meine Sünde bitter.
Dann sehe ich, wie du mich siehst,
an deinem Kreuz mich zu Dir ziehst.
Zum Balken wurde Dir mein Splitter.
Auch durchs Verleugnen und Versagen,
willst Du mich liebevoll ertragen.
Herr, ich versinke! Ich bereu’!
Bin ich auch untreu – Du bleibst treu!
Und wenn mein Weg ans Ufer führt,
Dein langer Atem Feuer schürt,
dann reichst Du mir den Leckerbissen.
dann geht es dir nicht ums Prinzip,
dann fragst Du nur: »Hast Du mich lieb?«
und in mir regt sich das Gewissen.
Auch durchs Verleugnen und Versagen,
willst Du mich liebevoll ertragen.
Du richtest auf, nimmst mir die Scheu.
Herr, Du weißt alles – Du machst neu.

Quellennachweis:
Fett, A: Total versiebt – und doch geliebt. fest & treu 2003, Heft 2, S. 18; https://clv.de/fest-treu-2-2003/2550302
Hahnenschrei in verschiedenen Sprachen: https://europeisnotdead.com/european-cock-a-doodle-doo/
Liste der, von der EU anerkannten, Hühnerrassen (aufgerufen am 08.05.2021, mit Stand vom 01.06.2016): http://www.entente-ee.com/wp-content/uploads/EE-Verzeichnis-RF-H%C3%BChner-2016-1.xlsx
Marino, L: Thinking Chickens: a review of Cognition, Emotion, and Behavior in the Domestic Chicken. Animal Cognition 2017; 20:127-147; doi: 10.1007/s10071-016-1064-4
Perry-Gal, L; Erlich, A; Gilboa, A: Earliest economic exploitation of chicken outside East Asia: Evidence from the Hellenistic Southern Levant. PNAS 2015; 112(32):9849-9854; doi: 10.1073/ pnas.1504236112
Shimmura, T; Ohasshi, S; Yoshimura, T: The highest-ranking rooster has priority to announce the break of dawn. Scientific Reports 2015; 5:11683; doi: 10.1038/srep11683
Siebald, M: Manfred Siebald. Seine Lieder 1968 – 2018 (S. 267; Dieser war auch mit dem Jesus). Holzgerlingen (SCM Hänssler) 2018
Bildnachweis:
Wikipedia: Titel – Portrait vom Hahn / Muhammad Mahdi Karim // zwei Hühner / Otwarte Klatki // Kirchenfenster mit Petrus und dem Hahn / Andreas F. Borchert // Uferszene nach Auferstehung / Deutsche Nationalbibliothek
andere Lizenzen: Hahn in Natur / shutterstock_1678995619.jpg / Martin Pelanek // Henne mit Küken / shutterstock_143016214.jpg / R. L. Webber // Hahn von Barcelos / shutterstock_1852776694.jpg / Andrei Nekrassov // Wetterhahn auf Palácio National de Mafra / shutterstock_1743364397.jpg / Video Media Studio Europe
Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/federfuehrer
