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Hasen

Der Hase hat in der Bibel nur einen kurzen Auftritt im »Speisegesetz«, wo sein Verzehr dem Volk Israel verboten wird. Die Begründung sorgte allerdings unter Gelehrten lange für Spott, bis sie sich im Licht der Wissenschaft auf erstaunliche Weise validieren ließ.

In Israel kommen mit dem Feldhasen (Lepus europaeus) und dem Kaphasen (Lepus capensis) zwei Spezies der Hasenartigen (Lagomorpha) vor. Sie sind allerdings miteinander kreuzbar und es wird immer noch diskutiert, ob sie nicht doch als eine Art anzusehen sind. Der Kaphase weist eindeutig Anpassungen an Wüstenbedingungen auf, während der Feldhase, der fast in ganz Europa vorkommt, diese vermissen lässt. Für Israel wurde sogar eine eigene Unterart des Feldhasen (Lepus europaeus judeae) beschrieben, aber im Folgenden wird einfach vom Hasen gesprochen.

lang:ohren

Im gesamten Nahen Osten sind Kaninchenarten nie heimisch gewesen – und obwohl das Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) eine invasive Art ist, die den gesamten westlichen Mittelmeerraum erobert und auch die Insel Kreta besiedelt hat, konnte es in Israel bisher nicht Fuß fassen. Berichte über Sichtungen beruhen in der Regel auf einer Verwechslung mit dem Klippschliefer (Procavia capensis), von dem später noch die Rede sein wird.

flugp:hase – Ein Sinai-Kaphase (Lepus capensis sinaiticus) springt in der judäischen Wüste über ein Geröllfeld. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern läuft er vielen Räubern einfach davon, und nur wenige können seinem blitzartigen Richtungswechsel folgen, wenn er »Haken schlägt«.

Die hebräische Bezeichnung arnebet (3Mo 11,6; 5Mo 14,7) kann eindeutig dem Hasen zugeordnet werden. Seine Fruchtbarkeit ist legendär. Ein gesundes Weibchen wirft jedes Jahr etwa zwölf Nach kommen, die nach wenigen Monaten selbst geschlechtsreif sind. Wenn die natürlichen Feinde fehlen, kann die Population geradezu explodieren. In den europäischen Ländern machen die Hasenartigen in der Regel mehr als die Hälfte der erlegten Tiere (waidmännisch: der »Jagdstrecke«) aus.

mümmel:männer

Da der Hase in Israel nicht gegessen werden durfte und außerdem sehr scheu ist, war er als Tier des Feldes unbedeutend. Auch landwirtschaftlich gesehen war er nicht von Belang, da er keinen großen Flur- und Ernteschaden anrichtet.

lieblings:speise – Das »Mosaik von Lod« ist mit einer Fläche von 180 Quadratmetern das größte seiner Art in Israel und wird in das dritte Jahrhundert datiert. In 37 Feldern werden etwa 70 verschiedene Tierarten dargestellt und meistens geht es um das Thema »Jäger und Gejagte«. Hier überrascht ein Jagdhund einen Feldhasen, der sich an einer Weintraube gütlich tut.

Es gäbe wohl zum biblischen Hintergrund nichts weiter über ihn zu sagen, wenn sich im Gesetz Moses nicht in den beiden Versen, in denen der Hase erwähnt wird, der Hinweis fände, dass es sich bei ihm um einen Wiederkäuer handelt. Generationen von Rabbinern und Theologen haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie das zu verstehen sein könnte – denn dass die Hasen eine ganz andere Anatomie haben als die wiederkäuende Unterordnung der Paarhufer mit dem biologischen Namen Ruminantia, ist offensichtlich. Die verbreitetste Erklärung besagte, dass man wohl in alttestamentlicher Zeit das »Mümmeln« des Hasen falsch gedeutet und mit den Kaubewegungen der Paarhufer verwechselt habe.

Bis in die Neuzeit hinein haben Theologen dieses Problem mit verschwurbelten Formulierungen kleingeredet: »Nun hat aber die Naturwissenschaft längst nachgewiesen, dass der Hase kein Wiederkäuer ist. In alter Zeit wurde er für einen solchen gehalten, weil er im Ruhen mit dem Maule Bewegungen macht, die an das Wiederkäuen erinnern. Gegen die volkstümliche Klassifizierung nach solchen sinnfälligen Kennzeichen hat aber auch die Wissenschaft nichts einzuwenden« (Alfons Schulz) und »Sie (die Schreiber der Bibel) haben diese falschen Anschauungen aber nicht als solche gelehrt, sondern sie nur verwandt, um den religiösen Gedanken der Schöpfung des Universums durch ihren Gott, um seine Allmacht und seine Schönheit, seine Güte und seine Weisheit anschaulich zum lehrhaften Ausdruck zu bringen« (Albrecht Peters).

wieder:holung

Dabei wurde dieser scheinbare Widerspruch schon vor fast 150 Jahren aufgelöst. In »Grzimeks Tierleben«, einem deutschen Standard werk, wird es wie folgt beschrieben: »Im Jahre 1882 veröffentlichte Morot in einer französischen tierärztlichen Zeitschrift seine Beobachtungen über die schleimüberzogenen ›Magenpillen‹ der Kaninchen. Außer der normalen festen Losung erzeugen diese Tiere nämlich eine zweite Kotform – weiche, schwachgeformte Kügelchen, die sie nach Ablage sofort aufnehmen und unzerkaut schlucken. Sie sammeln sich an einer bestimmten Stelle des Magens (in der Cardiaregion) und werden nochmals verdaut. Auf solche Weise geht ein Teil der Nahrung zweimal durch den Darm und wird dadurch besser aufgeschlossen. Diese Doppelverdauung ähnelt in gewisser Weise dem Wiederkäuen der meisten Paarhuferfamilien. Der weiche Kot (Caecotrophe) wird im Blinddarm gebildet und dort stark mit Vitamin-B1 angereichert; nach den Untersuchungen von Scheunert und Zimmermann enthält er gegenüber dem normalen Kot die vier- bis fünffache Menge an Vitaminen. Für die Hasentiere ist der ›Blinddarm-‹ oder ›Vitaminkot‹ lebenswichtig; er erleichtert ihnen vermutlich auch das Überstehen längerer Fastenzeiten bei ungünstiger Witterung«.

re:cycling – Im Blinddarm der Hasenartigen (Lagomorpha) wird Blinddarmkot (Caecotrophe) gebildet, der ausge schieden und erneut gefressen wird. Erst bei der zweiten Passage von Magen und Darm werden die Nähr stoffe vollständig aufgeschlossen und absorbiert. Funktional betrachtet handelt es sich dabei eindeutig um eine Form des Wiederkäuens.

Beim genauen Hinschauen ist die Bibel in ihrer Ausdrucksweise sogar sehr präzise. Es wird zwar festgehalten, dass der Hase wiederkäut (in dem Ausdruck steckt das Wort für »heraufholen«), also die bereits verdaute Nahrung ein zweites Mal aufnimmt, was zutreffend ist; aber es wird nicht gesagt, dass er ein »Wiederkäuer« im Sinne einer Gruppenzuordnung ist. Man kann also sagen: Der Hase käut wieder, obwohl er (biologisch gesehen) nicht zu den Wiederkäuern zählt. Von einem Theologen kann man nicht erwarten, dass er sich mit biologischen Spezialthemen wie der Caecotrophie auskennt. Aber bevor man der Bibel einen Irrtum anlastet, sollte man seine These am aktuellen Stand der Wissenschaft prüfen – um festzustellen, dass die Irrtumslosigkeit der Schrift auch für vermeintlich nebensächliche Aspekte wie naturkundliche Aussagen gilt.

Quellennachweis:

Gehrisch, B: Lepusculus Domini, Erotic Hare, Meister Lampe – Zur Rolle des Hasen in der Kulturgeschichte. Wettenberg (VVB Laufersweiler) 2005; http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2005/2398/pdf/GerischBirgit-2005-06-30.pdf

Gorzalczany, A; Avissar, M; Torgë, H: Lod, the Lod Mosaic: Preliminary Report. Hadashot Arkheologiyot: Excavations and Surveys in Israel 2016; 128. https://www.jstor.org/stable/26679195

Grzimek, B: Grzimeks Tierleben (Bd. 12 „Säugetiere III“; 421-422). Zürich, CH (Helmut Kindler) 1972

Junker, R: Der Hase – ein Wiederkäuer? Studiengemeinschaft Wort und Wissen 1995; Diskussionsbeitrag 1/95; https://www.wort-und-wissen.org/disk/der-hase-ein-wiederkaeuer

Hoffmann, D: Das Buch Leviticus (Bd. 1; S. 29-30). Berlin (M. Poppelhauer) 1905

Kulwich, R; Struglia, L; Pearson, PB: The effect of coprophagy on the excretion of B vitamins by the rabbit. The Journal of Nutrition 1953; 49(4):639-645; doi: 10.1093/jn/49.4.639

Morot ; CH: Mémoire relatif aux pelotes stomacales des léporidés. Recueil de Médecine Vétérinaire 1882 ; 59:635-646

Schulz, A: Der Hase als Wiederkäuer. Biblische Zeitschrift 1911; 9:12-15

Scheunert, A; Zimmermann, K: Bakterielle Synthese im Blinddarm und Koprophagie Beim Kaninchen. Archiv für Tierernaehrung 1952; 2(1-6):217-222; doi: 10.1080/17450395209424645

Bildnachweis:

Wikipedia: Kaphase in der judäischen Wüste / MinoZig // Bodenmosaik mit Hase und Jagdhund / anagoria // Feldhase auf Acker / Hans-Jörg Hellwig

andere Lizenzen: Titel – Feldhase / shutterstock ID_1959135373 / Mario Plechaty Photograph

Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/landlaeufer

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