Als Nutztiere begegnen uns Schaf und Ziege, die gemeinsam als »Kleinvieh« bezeichnet werden, schon von Anbeginn der Menschheitsgeschichte (1Mo 4,2). Ihre wilden Verwandten teilen sich mit ihnen den gleichen Lebensraum und haben doch ganz andere Lebensgewohnheiten.
Im Tribus der Ziegenartigen (Caprini) sind sämtliche Arten von Schafen, Ziegen und Steinböcken zusammengefasst. Da sie viele Merkmale miteinander teilen, bleibt es Spezialisten überlassen, ihre Verwandtschaftsverhältnisse genauer zu bestimmen. Ein genetischer Hinweis auf ihre enge Verwandtschaft ist, dass mitunter »Schiegen« geboren werden – Kreuzungen aus Schaf und Ziege.

kletter:arten
Während Ziegen 60 und Schafe 54 verschiedene Chromosomen haben, kommt die Schiege, als fairer Kompromiss, mit 57 Chromosomen zur Welt. Im Labor hat man die Embryonen von Schaf und Ziege in einem frühen Stadium versuchsweise miteinander verschmolzen. Heraus kam ein Mischwesen, das zwar zur Hälfte aus »Ziegenzellen« und zur Hälfte aus »Schafszellen« bestand, sich aber ganz normal entwickelte.
Bis heute gibt es den Nubischen oder Syrischen Steinbock (Capra nubiana) in Israel. Wahrscheinlich sind ihm die hebräischen Bezeichnungen akko (5Mo 14,5) und ja’ala (Spr 5,19) zuzuordnen, wobei die weibliche Form ja’el (Hi 39,1; Ps 104,18) dann die Steingeiß bezeichnen würde. In der Form Jaala (Esr 2,56; Neh 7,58) und Jael (Ri 4.5) kommt beides als Personenname und mit zur-hajaelim, dem »Steinbockfelsen« (1Sam 24,3), auch als Ortsname vor. Analog dazu wird auch das nahegelegene En-Gedi (Jos 15,62; 1Sam 24,1.2; 2Chr 20,2; Hld 1,14; Hes 47,10) als »Steinbockquelle« gedeutet.
Die Bezoarziege (Capra aegagrus aegagrus) war früher in Israel heimisch, wurde aber schon sehr früh durch Herden in menschlicher Obhut verdrängt. Sie gilt als Stammform der Hausziege. Wahrscheinlich kann ihr die hebräische Bezeichnung te’o (5Mo 14,5; Jes 51,20) zugeordnet werden.

Ebenfalls in Israel ausgestorben ist das Armenische Wildschaf oder Mufflon (Ovis orientalis gmelini). Von den genetischen Daten her ist nicht entscheidbar, ob es sich um eine Vorform des Hausschafs, oder um eine verwilderte Form handelt. Vor dem kulturgeschichtlichen Hintergrund der Bibel ist letzteres wahrscheinlich, da die domestizierte Form schon sehr früh erwähnt wird. Wie die Wildziege musste es den Herden zahmer Schafe weichen und wird nur an einer einzigen Stelle genannt, mit der hebräischen Bezeichnung zemer (5Mo 14,5). Der Textzusammenhang legt allerdings nahe, dass es sich auch bei dem Widder im Gestrüpp, den Abraham an Stelle seines Sohnes Isaak opfern darf (1Mo 22,13), um ein Wildschaf handelte. Alle drei Arten wurden in Israel zum jagbaren Wild gerechnet (5Mo 14,5), dessen Verzehr erlaubt war, da es sich um Paarhufer und Wiederkäuer, also reine Tiere, handelt.

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Die Frage »Weißt du die Gebärzeit der Steinböcke? … Zählst du die Monate, die sie erfüllen, und weißt du die Zeit ihres Gebärens?« (Hi 39,1.2) deutet an, dass die Fortpflanzung der Steinböcke (und wildlebender Paarhufer allgemein) in eine bestimmte Saison fällt (heute überwiegend im Monat März), die den Menschen zur Zeit Hiobs unbekannt war. Während der Mensch von Gott die Verantwortung übertragen bekommen hat, Kinder nach seinem eigenen Willen zu zeugen, folgen Tiere ihren Trieben und sind fast immer an feste Zyklen gebunden, also bestimmte Perioden im Jahr, in denen sie fruchtbar sind und Nachwuchs zeugen können. Diese Zeiten sind exakt auf ihre artspezifischen Bedürfnisse abgestimmt. Das Gebären des Nachwuchses entzieht sich aufgrund des oft schwer zugänglichen Lebensraums der Tiere normalerweise fast vollständig der Beobachtung durch den Menschen. Gott allein kennt die richtige Zeit für jede Art.

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Eine Steingeiß (Steinbockweibchen) mit ihren Jungen an einer steilen Wand klettern zu sehen, ist ein beeindruckender Anblick. Sie ist schlank und gewandt – kein Wunder, dass sie mit einer schönen Frau verglichen wird: »die anmutige Gemse, ihr Busen soll dich allezeit sättigen, von ihrer Liebe sollst du stets entzückt sein!« (Spr 5,19 SB, wobei das deutsche Wort »Gemse« / »Gämse« strenggenommen nicht die Steingeiß, das Weibchen des Steinbocks, bezeichnet). Sie bleibt zwar immer in der Nähe ihres Nachwuchses, doch helfen kann sie ihren Jungen in der Wand nicht. Sie sind dort ganz auf sich gestellt, müssen ihren eigenen Weg finden und werden schnell selbstständig. »Ihre Kinder werden stark, wachsen auf im Freien; sie gehen fort und kehren nicht zu ihr zurück« (Hi 39,4).
»Die hohen Berge sind für die Steinböcke« (Ps 104,18) – ihre unglaubliche Trittsicherheit und Kletterkunst sind das herausragende Merkmal der Steinböcke und Ziegen. Das hängt mit der besonderen Anatomie ihrer breiten und flachen Hufe zusammen, genauer gesagt mit ihrer Unterseite, der Hufsohle. Die Hufkanten außen herum bestehen aus hartem Horn. Damit können sich die begnadeten Kletterer an winzigen Unebenheiten und Vorsprüngen einhaken und nach oben ziehen oder einen sicheren Stand finden. In Kombination mit dem weichen Ballen innen, der sich wie eine Art Knetmasse an Unebenheiten am steinigen Untergrund schmiegt und die Reibung er höht, können die Tiere so ziemlich alle Steigungen und Untergründe überwinden, die im Gebirge zu finden sind. Ob Schotter, grobes Geröll, Steilhänge aus nacktem Fels, schlammige, feuchte oder sogar vereiste Pfade – sie sind allen Herausforderungen gewachsen.
Sie sind aber nicht nur gute Kletterer. Dank ihrer kräftigen Beinmuskeln können sie aus dem Stand bis zu zwei Meter senkrecht nach oben springen, und mit genügend Anlauf springen sie scheinbar mühelos von der einen Seite einer zehn Meter breiten Schlucht auf die andere. Da Wirbelsäule und Beine sehr leicht und elastisch sind, verkraften sie einen Sturz auf harten Fels aus fünf bis sechs Metern Höhe, ohne sich die Knochen zu brechen.

Quellennachweis:
Biancardi, CM; Minetti, AE: Climbing dam walls: new habits for the Alpine ibex? Hystrix – Italian Journal of Mammalogy 2014; 25 (Supplement, S. 18) – IX Congresso Italiano di Teriologia
Fehilly, C; Willadsen, S; Tucker, E: Interspecific chimaerism between sheep and goat. Nature 1984; 307:634-636; doi.org/10.1038/307634a0
Iribarren, C; Kotler, BP: Foraging patterns of habitat use reveal landscape of fear of Nubian ibex Capra nubiana. Wildlife Biology 2012;18:194-201; doi: 10.2981/11-041
Tadesse, SA; Kotler, BP: Seasonal habitat use by Nubian Ibex (Capra Nubiana) evaluated with behavioral indicators. Israel Journal of Ecology & Evolution 2011; 57(3); doi: 10.1560/IJEE.57.3.223
Bildnachweis:
Wikipedia: 3 Steinböcke / אהוד הלפרין // Steinböcke in Staumauer / Claudio Bedin
andere Lizenzen: Titel – Mufflon / shutterstock ID_1373640584 / Kikkia Jackson // Mufflon Portrait / shutterstock ID_1803218089 / Susanne Edele // Nubischer Steinbock / shutterstock ID_2225483011 / Luciano Santandreu // Bezoar-Ziege / shutterstock ID_1426356836 / karpetrosian
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