Zwei hebräische Tiernamen gaben lange Rätsel auf und werden in deutschen Bibeln mit Maulwurf, Wiesel, Ratte oder Spitzmaus übersetzt. Erst eine gründlichere Untersuchung der nahöstlichen Fauna brachte Licht ins Dunkel.
Welches Tier bezeichnen bloß die hebräischen Ausdrücke choled (3Mo 11,29) und chafor perot (Jes 2,20), die sich beide von dem Verb »graben« ableiten? – Keine der vorgeschlagenen Übersetzungen passt so recht. Maulwürfe (Talpidae) kommen und kamen in Israel und im gesamten Nahen Osten nicht vor und insbesondere der Europäische Maulwurf (Talpa europaea), der uns sofort in den Sinn kommt, benötigt ganz andere Lebensbedingungen und hat es nie nach Israel geschafft. Auch Wiesel, Iltisse, Nerze und Marder brauchen einen deckungsreichen, bewaldeten, feuchteren und kühleren Lebensraum und waren nie in Israel heimisch.

deck:namen
Ihre ökologische Nische wird dort durch Katzenartige und Schlangen besetzt. Eine Ausnahme bildet der Syrische Tigeriltis (Vormela peregusna syriaca), den man verschiedentlich beobachten konnte. Er wird allerdings wahrscheinlich schon seit alter Zeit auf Hebräisch als nimschi bezeichnet – wie der entsprechende Name Nimsi (1Kön 19,16; 2Kön 9,2.14.20; 2Chr 22,7) belegt. Ratten wiederum wurden in den meisten Sprachen des Altertums nicht von Mäusen unterschieden, die gesondert erwähnt werden, zu denen wir noch kommen. Auch die Spitzmäuse, die biologisch gesehen keine Nagetiere sind, wurden aufgrund ihrer Ähnlichkeit wahrscheinlich zu den Mäusen gezählt. Sie sind mit zwei Arten in Israel vertreten, wobei man wohl weder die Moschusspitzmaus (Suncus murinus), noch die Etruskerspitzmaus (Suncus etruscus), die mit maximal drei Gramm Gewicht das kleinste Säugetier der Erde ist, als Speise zubereiten würde. Außerdem sind beide Arten dort selten und kommen nur in einigen wenigen Regionen vor.

gewühls:blind
Auch wenn die Kapitelüberschrift Raum für Spekulation lässt: Die Maulwurfsratte, auch Nahost- oder Ehrenberg-Blindmaus (Nannospalax ehrenbergi), scheint der perfekte Kandidat zu sein. Der deutsche Forschungsreisende Christian Gottfried Ehrenberg (1795-1876) verfasst in seinem mehrbändigen Werk Symbolae physicae erstmals eine wissenschaftliche Beschreibung dieser bemerkenswerten Tiere aus der Familie der Blindmäuse (Spalacidae) und der Ordnung der Nagetiere (Rodentia). Es gäbe aus biologischer Sicht viele interessante Dinge über sie zu berichten.
Die Chromosomenanzahl der Blindmäuse beispielsweise variiert enorm. Das hat dazu geführt, dass man allein in Israel, entsprechend ihrem lokalen Verbreitungsgebiet, vier unterschiedliche Arten der Maulwurfsratte definierte: auf dem Karmel (N. carmeli); in Obergaliläa (N. galili); auf den Golanhöhen (N. golani) und im Judäischen Bergland (N. judaei). Sie sind jeweils endemisch, kommen also weltweit nur in diesem kleinen Gebiet vor. Da sie ihr ganzes Leben unter der Erde verbringen und sich nur in ihren Gängen fortbewegen, gibt es viele natürliche Hindernisse, durch die die einzelnen Gruppen voneinander isoliert sind. Als man herausfand, dass sie sich alle paaren und fruchtbare Nachkommen zeugen können (trotz der verschiedenen Chromosomenzahlen!) – wurden die vier neuen Artnamen ad acta gelegt.
Sie sind die einzigen Säugetiere, die tatsächlich ganz blind sind. Während Maulwürfe oder Nacktmulle mit ihren winzigen Knopfäuglein immerhin noch zur Hell-Dunkel-Unterscheidung fähig sind, liegen die Augen der Blindmäuse, obwohl sie voll entwickelt sind, unter der Haut. Man hielt sie für vollkommen funktionslos, bis sich herausstellte, dass die Tiere ihren Tagesrhythmus nicht mehr aufrechterhalten können, wenn man sie operativ entfernt.
Sie leben in völliger Dunkelheit und haben dazu außergewöhnliche Fähigkeiten, Schall und Vibration wahrzunehmen. Außerdem orientieren sie sich mithilfe eines inneren Kompasses am Magnetfeld der Erde. Ihr Körper ist walzenförmig und ihre Grabwerkzeuge, die breiten Schneidezähne, ragen auch bei geschlossenem Kiefer aus dem Maul hervor. Sie werden über zwanzig Jahre alt und sind aufgrund ihrer Fähigkeit, Krebszellen rechtzeitig eliminieren zu können, optimale Versuchstiere, da sie praktisch keine Tumore ausbilden. Man hofft, durch die Untersuchung dieses Mechanismus neue Ansätze im Kampf gegen diese Krankheit zu finden.

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Da die blinden Wühlmeister in der Bibel nur beiläufig erwähnt werden, steht ihnen hier eigentlich nicht mehr Platz zu. Es wäre noch zu sagen, dass die weibliche Form von choled das Wort chulda ist – der Name der Prophetin Hulda (2Kön 22,14; 2Chr 34,22). Aber: Warum sollten Eltern ihrer Tochter das antun? Das erscheint nicht sehr wahrscheinlich. Möglicherweise kann ihr Name auch von cheled abgeleitet werden, einem alten Wort für »Leben«. Das hätte dann eine schöne Bedeutung, wie in diesem Vers: »heller als der Mittag wird dein Leben erstehen; mag es finster sein – wie der Morgen wird es werden« (Hi 11,17). Eine letzte Sache muss noch erwähnt werden: In der Jesaja-Stelle wird die Maulwurfsratte mit verschütteten Kunstwerken in Verbindung gebracht: »An jenem Tag wird der Mensch seine Götzen aus Silber und seine Götzen aus Gold, die man ihm zum Anbeten gemacht hat, den Maulwürfen und den Fledermäusen hinwerfen« (Jes 2,20). Es ist in der Tat so, dass nach Zerstörung und Untergang menschlicher Siedlungen viele Artefakte später dicht unter der Oberfläche, im Bereich bis zu einem Meter Tiefe, wieder aufgefunden werden. Das ist genau das Territorium der Maulwurfsratte. Ein besonderer Clou ist nun, dass heute gerade diese unansehnlichen Tiere Archäologen helfen, interessante Grabungsstätten zu finden. Sie haben mit dem Europäischen Maulwurf gemein, dass sie den Aushub ihrer Gänge als »Maulwurfshügel« an der Oberfläche deponieren.

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ihnen eine Sichtung dieses Auswurfs wertvolle Hinweise liefern kann. Als sie 2010 in mehreren Haufen 25 km nordöstlich von Beerseba außer Tonscherben, die man in solch einem alten und dicht besiedelten Kulturraum wie Israel fast überall findet, auch Glasstücke und Metallschlacken entdeckten, gruben sie zielgenau diesen Bereich auf und entdeckten Tel ’Eton, das biblische Eglon (Jos 10,34).

Quellennachweis:
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Gorbunova, V; Hine, C; Tian, X: Cancer resistance in the blind mole rat is mediated by concerted necrotic cell death mechanism. Proceedings of the National Academy of Sciences 2012; 109(47):19392-19396; doi: 10.1073/pnas.1217211109
Hasson, N: Did King David’s United Monarchy Exist? Naked Mole Rats Uncover Monumental Evidence. Ha’aretz 16.04.2018; https://www.haaretz.com/archaeology/2018-04-16/ty-article-magazine/.premium/molerat-archaeology-supports-united-monarchy-theory-says-new-study/00000180-179c-db53-a3aa-179c770e0000
Kimchi, T; Terkel, J: Magnetic compass orientation in the blind mole rat Spalax ehrenbergi. Journal of Experimental Biology 2001; 204(4):751-758; doi: 10.1242/jeb.204.4.751
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Bildnachweis:
Wikipedia: Maulwurfsratte / Nannospalax.jpg / Максим Яковлєв / 199-1: Europäischer Maulwurf / Close-up_of_mole.jpg / Michael David Hill / 199-1: Maus wiesel / Mustela-nivalis.jpg / / 199-1: Etruskerspitzmaus / Shrew (Crocidura sp) 01.jpg / Lies Van Rompaey / 199-1: Syrischer Tigeriltis / (6604) Marbled polecat.jpg / zoofanatic / 200-1: Nahost-Blindmaus / Palestine Mole-rat 1.jpg / Bassem18
andere Lizenzen: Tonbulle aus Tel-Eton / Tonbulle_Tel-Eton,jpg / Zev Radovan
Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/landlaeufer
