Die Wachtel (Coturnix coturnix) ist ein kleiner Hühnervogel, der ganz im Verborgenen lebt. Obwohl sie in Mitteleuropa heimisch und weit verbreitet ist, wird sie selten in freier Wildbahn angetroffen. Das liegt daran, dass sie, wie ihr Name schon sagt, sehr wachsam ist (»Die Wachtel wacht die ganze Nacht«) und jede Begegnung mit Menschen vermeidet.
Außerdem ist sie gewöhnlich nur in den späten Abend- beziehungsweise frühen Morgenstunden aktiv und verbringt den Tag in ihrem Versteck. In Israel kommt die selav nur als Durchreisender oder Wintergast vor und ist ein beliebter Speisevogel. Auch ihre Eier werden sehr geschätzt, und sie wird ausschließlich im Zusammenhang mit der Versorgung des Volkes in der Wüste erwähnt (2Mo 16,13; 4Mo 11,31.32; Ps 105,40).

dak:ty:lus
Wenn man sie auch nicht sieht – hören kann man sie schon von Weitem. Der Lockruf des Hahns, der weidmännisch »Wachtelschlag« genannt wird, ist etwa einen halben Kilometer weit zu hören. Es ist nicht verwunderlich, dass ein Vogel, den man nie sieht, aber immerzu hört, nach seinem Ruf benannt wird. Kurioserweise wird diese besondere Tonfolge überall unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert.
Aus einem Wikipedia-Eintrag, der leider nur in wenigen Sprachen vorliegt, geht hervor, dass der Engländer wet-my-lips (weet-my-feet, quick-me-dick) hört, während der Franzose paye-tes-dettes (Bezahle deine Schulden!) versteht und ein schlechtes Gewissen bekommt. Spanier haben offensichtlich nicht so viel Fantasie und erkennen nur ein pal-pa-la. Ob die Niederländer mit kwik-me-dit, und die Luxemburger mit bek-de-rek etwas Bestimmtes heraushören, hat sich dem Autor bisher nicht erschlossen, aber auf der anderen Seite der Grenze interpretierte man früher Bück-den-Rück und Flick-de-Bücks als »Motivationsruf« für säumige Knechte und Mägde. In alten deutschen Vogelbüchern wird die Wachtel pick-per-wick genannt. Selbst ihr wissenschaftlicher Name co-tur-nix ist mit ziemlicher Sicherheit eine lautmalerische Beschreibung. So unterschiedlich die verwendeten Vokale und Konsonanten auch sind, das typische, kurzsilbige Stakkato eines Daktylus-Rhythmus haben alle gemeinsam.

turbo:küken
Der Wachtelhahn paart sich mit jeder Henne, die seinem Lockruf folgt. Das anschließende Nisten und Brüten ist reine Frauensache, wobei ein einziges Gelege bis zu zwölf Eier enthält und drei Wochen bebrütet wird. Zum Glück der armen Henne, muss sie die Jungen nicht auch noch durchfüttern: Es sind Nestflüchter, die nach wenigen Stunden bereits umherlaufen und sich selbst versorgen. Mit drei Wochen sind sie voll flugfähig und nach nur zehn Wochen können sie sich ihrerseits wie der verpaaren. Damit sind sie die frühreifsten Vögel! Da die Weibchen gelegentlich sogar zweimal hintereinander brüten, kann man sich leicht ausrechnen, wie die Wachtelpopulation in einem günstigen Sommer geradezu explodieren kann.

wachteln:spachteln
Zum Überwintern ziehen die Wachteln von Europa bis tief nach Afrika hinunter und folgen dabei über weite Strecken dem Verlauf des Nil. Sie müssen nicht den Umweg über die Levante nehmen, sondern können das offene Mittelmeer überfliegen. Bei den riesigen Schwärmen, die zweimal das Lager der Israeliten bedeckten (2Mo 16; 4Mo 11), handelte es sich vermutlich um Tiere, die sich auf dem Zug befanden. Möglicherweise gebrauchte Gott in beiden Fällen natürliche Gegebenheiten, um sein Volk zu versorgen und zu strafen. Jedenfalls gibt es Berichte darüber, dass Wachtelschwärme, die auch nachts fliegen und sich an den Sternen orientieren, durch unerwartete Lichterscheinungen irritiert werden und sicherheitshalber landen. Eine große Anzahl von Lagerfeuern oder die hell leuchtende Feuersäule in der Mitte des Lagers könnten den gleichen Effekt gehabt haben. Wobei es immer noch Gott ist, der den Ablauf steuert: »Sie forderten, und er ließ Wachteln kommen.« (Ps 105,40).

wachtel:finale
Beim zweiten Mal kam es zu Vergiftungserscheinungen und viele Israeliten starben beim Verzehr der Wachteln. In der Medizin wird die Vergiftung durch Wachtelfleisch in Anlehnung an den lateinischen Namen des Vogels als »Coturnismus« bezeichnet. Da es sich um ein begehrtes und von Feinschmeckern seit jeher hochgeschätztes Jagdwild handelt, ist dieses Phänomen seit Jahrtausenden bekannt und gibt Rätsel auf. Verschiedene pflanzliche Wirkstoffe standen schon im Verdacht, sich in den Tieren auf toxische Konzentration anzureichern, aber bisher ließ sich keine dieser Vermutungen bestätigen. Eine andere Theorie nimmt an, dass sich bei körperlicher Erschöpfung Giftstoffe in den Muskeln der Wachtel bilden. Folgender Artikel aus der »Weltwoche« vom 3. Mai 1978 könnte das bestätigen:
>> Auf dem Supertanker »Star of Bahrain«, der durch das Mittelmeer fuhr, schrillte morgens um vier Uhr das Bordtelefon: »Käpt’n, kommen sie schnell auf die Brücke! Ganze Vogelgeschwader greifen uns an!« Als Kapitän James Reed an Deck stürzte, fuhr ihm der Schreck in die Knochen. Ähnlich wie in Alfred Hitchcocks Gruselfilm »Die Vögel« war sein Deck von einer einzigen hüpfenden, schreienden Vogelmasse überschwemmt. Durch Fenster und Luken quoll es in die Maschinenräume und Kabinen, und ständig landeten neue Geschwader von Wachteln. Der Grund für diesen »Überfall« wurde bald ersichtlich: Aus Nordnordwest fegte ein Sturmtief heran. Die weltreisenden Wachteln hatten es bereits vor den Seeleuten erkannt und suchten auf dem Schiff Zuflucht vor dem Unwetter. Als der schlimmste Sturm überstanden war, gingen einige Matrosen los, »Frischgeflügel für die Kombüse« zu besorgen. Doch zwölf Stunden nach der Mahlzeit war an Bord der Teufel los. Fast alle Besatzungsmitglieder litten unter »schwerer Seekrankheit«. Atembeschwerden und Sprachstörungen kamen hinzu, die Gliedmaßen wurden gefühllos, schließlich trat Lähmung ein. Drei Seeleute starben. Wie ein Geisterschiff trieb der Tanker vor Neapel umher. <<
„Weltwoche“ vom 02.05.1978

Dass es wahrscheinlich Muskelgifte sind, die den Coturnismus auslösen, wird außerdem dadurch bekräftigt, dass die Fälle in Marokko und Spanien nur im Frühjahr auftreten, wenn die Vögel aus Afrika zurückkehren und sich auf ihrer Reise nach Norden zuvor durch Sandstürme über der Sahara und »Medicanes« über dem Mittelmeer hindurchkämpfen mussten. In Ägypten dagegen treten sie nur im Herbst nach der Mittelmeerpassage der Vögel auf, während die Frühjahrszüge sie am sicheren Nil entlang dorthin führen, ohne dass sie gestresst und giftig werden.
wachtel:wunder
Die biblische Beschreibung des zweiten »Wachtelwunders« ist bemerkenswert: »Und ein Wind fuhr von dem HERRN aus und trieb Wachteln vom Meer herbei und warf sie auf das Lager, etwa eine Tagereise hier und etwa eine Tagereise dort, rings um das Lager, und etwa zwei Ellen hoch über der Oberfläche der Erde. Und das Volk machte sich auf, jenen ganzen Tag und die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag, und sie sammelten die Wachteln; wer wenig gesammelt hatte, hatte zehn Homer [2.200 L entsprechen etwa 5.000 Wachteln, bei ca. 100 g pro Vogel insgesamt eine halbe Tonne Gewicht] gesammelt; und sie breiteten sie sich rings um das Lager her aus. Das Fleisch war noch zwischen ihren Zähnen, es war noch nicht zerkaut, da entbrannte der Zorn des HERRN gegen das Volk, und der Herr richtete unter dem Volk eine sehr große Niederlage an. Und man gab jenem Ort den Namen Kibrot-Hattaawa, weil man dort das Volk begrub, das lüstern gewesen war.« (4Mo 11,31–35).

Einerseits benutzt Gott natürliche Gegebenheiten, wie die enorme Vermehrungsfähigkeit der Wachteln, ihr massenhaftes Auf treten während des Vogelzugs und ihre Anfälligkeit, vom Wind er schöpft und verfrachtet zu werden, um dem Volk das Fleisch direkt vor die Füße zu legen. Andererseits macht Er in seinem Gerichtshandeln deutlich, dass die Strafe für die Unzufriedenheit und Gier direkt von Ihm ausgeht und nichts mit dem natürlichen Coturnismus zu tun hat. Die Menschen sterben durch seine Hand, noch bevor sie das Wachtelfleisch zerkaut und aufgenommen haben: »Sie frönten ihrem Gelüst in der Wüste und versuchten Gott in der Einöde: da gewährte er ihnen ihr Verlangen, sandte aber die Seuche gegen ihr Leben« (Ps 106,14.15 Me).
gottes:gabe
Was war so schlimm an der »Gier nach Fleisch«, dass Gott mit den Wachteln auch den Tod unter das Volk sendet? Hört man ihnen in der Wüste zu, fällt auf, dass sie sich nach Ägypten zurücksehnten: »im Land Ägypten … als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung!« (2Mo 16,3) und »Wir erinnern uns an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, an die Gurken und die Melonen und den Lauch und die Zwiebeln und den Knoblauch; und nun ist unsere Seele dürr; gar nichts ist da, nur auf das Manna sehen unsere Augen.« (4Mo 11,5.6). Dabei verklären sie die Vergangenheit. »Die gute alte Zeit ist nichts anderes als eine Mischung aus schlechter Erinnerung und guter Phantasie« (W. Wiersbe). Umsonst gab es in Ägypten gar nichts – sie wurden ernährt, um härtesten Sklavendienst zu leisten, geschlagen und ihrer Kinder beraubt.
Das Manna enthielt alles, was sie brauchten, und war ein voll wertiges Hauptnahrungsmittel. Als sie es zum ersten Mal kosteten, erschien es ihnen wie »Kuchen mit Honig« (2Mo 16,31). Zwei Jahre später schmeckte es nur noch nach »Ölkuchen« (4Mo 11,8) und nach fast vierzig Jahren murrten sie: »Unsere Seele ekelt sich vor dieser elenden Speise« (4Mo 21,5). Zunehmende Gewöhnung, der Wunsch nach Abwechslung und schließlich offene Abneigung gegen das, was Gott gibt – all das warnt uns, die heute Gottes Gaben, den Herrn Jesus, den Heiligen Geist und die Bibel kennen und in der gleichen Gefahr stehen. Bitten wir den Herrn Jesus, dass wir Ihn erleben, das Wirken des Geistes erkennen, immer wieder neu über sein Wort staunen und seinen wunderbaren Geschmack wahrnehmen: »Wie süß sind meinem Gaumen deine Worte, mehr als Honig meinem Mund!« (Ps 119,103).
Quellennachweis:
Bileis, AG; Kastanakis, S; Giamarellou, H: Acute Renal Failure After A Meal of Quail. The Lancet 1971; 702
Dröscher, VB: …und der Fisch schleuderte Jona an Land (S. 63-69). München (Goldmann) 1990; dort findet sich das Zitat aus der Zeitung „Weltwoche“ vom 02.05.1978
Korkmaz, I; Güven, FMK; Eren, SH: Quail consumption can be harmful. The Journal of Emergency Medicine 2011. 41(5):499 502; doi: 10.1016/j.jemermed.2008.03.045
Kost, W: Wachtel (Coturnix coturnix) „wassert“ im Roten Meer. Vogelwarte – Zeitschrift für Vogelkunde 1967; 24:40-41
Lewis, DC; Metallinos-Katzaras, E; Grivetti, LE: Coturnism: Human Poisoning by European Migratory Quail. Journal of Cultural Geography 1987; 2:51-65; doi: 10.1080/08873638709478507
Navara, KJ; Nelson, RJ: The dark side of light at night: physiological, epidemiological, and ecological consequences. Journal of Pineal Research 2007; 43:215-224. doi:10.1111/j.1600-079X.2007.00473.x
Rückert, F: Der kleine Haushalt – Gedichte. Meißen (Verlag der Truhe) 1921
Schüz, E: Vom Vogelzug, Grundriß der Vogelzugskunde. Frankfurt (Schöps) 1952
Tsironi, M; Andriopoulos, P; Xamodraka, E: The patient with rhabdomyolysis: Have you considered quail poisoning? Journal of Canadian Medical Association 2004; 171(4):325
Bildnachweis:
Wikipedia: Wachtel im Wald / Raniero Massoli Novelli // Buchillustration zum Wachtelessen / Bayerische Staatsbibliothek
andere Lizenzen: rufender Wachtelhahn / AdobeStock_23282190.jpeg / Tom B // gebratene Wachteln / AdobeStock_186984059.jpeg / Ruslan Mitin // Wachtel / shutter stock_181831904.jpg / feathercollector // Schale mit Wachteleiern / shutterstock_526923559.jpg / Nattika // Wüste Sinai / shutterstock_1079337401.jpg / Wahoo
Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/federfuehrer
