Mit oreb wird ein Vogel aus der Gattung Corvus bezeichnet, in der die großen Raben und die etwas kleineren Krähen zusammengefasst sind. Das Wort leitet sich von arab (»dunkel«) ab.
Erstaunlicherweise zählen die Raben zur Familie der Singvögel, obwohl sie nicht wie die Mitglieder aller anderen Gattungen in buntester Gefiedervielfalt auftreten, sondern schwarz wie die Locken des jungen Salomo sind: »Sein Gesicht ist wie feinstes Gold, sein Haar ist rabenschwarz« (Hld 5,11 NLÜ). Außerdem können sie nicht zwitschern und singen, sondern nur krächzen. Ihr griechischer Name korax ist eine lautmalerische Form dieses rauen Rufes.
Nachdem der Kolkrabe (Corvus corax) in Israel fast ausgestorben war, breitet er sich nun wieder aus. Er ist der bekannteste Vertreter seiner Gattung. Mit einer Körperlänge von fast 70 cm und einer Flügelspannweite von bis zu 130 cm ist er größer als ein Mäusebussard und der weitaus größte »Singvogel«. Verbreiteter ist der Wüstenrabe (Corvus ruficollis), der etwas kleiner, aber ansonsten kaum vom Kolkraben zu unterscheiden ist. Die Aaskrähe (Corvus corone) ist noch einmal kleiner. Während sie in Mittel- und Westeuropa als »Rabenkrähe« ganz in schwarz daherkommt, tritt sie in Osteuropa und im Orient in einer etwas helleren, grau-schwarzen Form als »Nebelkrähe« auf. Alle drei sind sich in Verhalten und Ernährungsweise sehr ähnlich. Vermutlich wurden sie früher nicht exakt unterschieden. Dass unter den unreinen Tieren »alle Arten der Raben« (3Mo 11,15; 5Mo 14,14) genannt werden, kann aber auch da rauf hinweisen, dass hier mehrere ähnliche Formen zusammengefasst werden.

aus:steiger
Der oreb ist der erste Vogel, der in der Bibel namentlich erwähnt wird: »40 Tage später öffnete Noah das Fenster, das er in die Arche eingelassen hatte, und ließ einen Raben hinaus. Der flog hin und zurück, immer wieder, bis die Erde trocken war« (1Mo 8,6.7 NeÜ). Noah lässt ihn als Kundschafter aus der Arche hinausfliegen. Der Rabe flog umher und kehrte zwar zur Arche zurück, aber nicht zu Noah in das Innere der Arche. Wahrscheinlich nutzte er das Dach der Arche als Basis und flog erst davon, als die Erde weitgehend trocken war und Noah es abnahm (1Mo 8,13).
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Raben und Aaskrähen ernähren sich von toten Tieren und suchen ihre Beute in weitem Umkreis. Obwohl sie in der Lage sind, sich ein breites Nahrungsangebot zu erschließen, könnten sie ihre Jungen ohne Aas nicht großziehen. Gott sorgt dafür, dass Raubtiere einen Teil ihrer Beute zurücklassen, damit auch Aasfresser sich und ihre Brut ernähren können. Raben und Krähen sind die schwächsten unter den Aasfressern und kommen gewöhnlich erst dann zum Zug, wenn Hyänen, Schakale und Geier sich schon die Bäuche vollgeschlagen haben. Sie müssen sich daher meistens mit den Kadavern kleinerer Tiere zufriedengeben, die sie gelegentlich als Erste entdecken. Die Jungen sind »Nesthocker« und lassen sich noch sehr lange von ihren Eltern füttern. Sie sind ständig hungrig und fordern ununterbrochen und laut krächzend ihre Nahrung. Das weithin hörbare Spektakel bringt den Altvögeln schon seit alters her den Ruf ein, als »Rabeneltern« schlecht für ihre Kinder zu sorgen. Objektiv betrachtet stimmt das gar nicht. In Kulturen, in denen man sie aufmerksamer beobachtet hat, ist der Rabe das Symbol für elterliche Fürsorge! Die Brutpaare leisten Schwerstarbeit, und auch Gott greift auf den Vergleich mit dem Raben zurück, um Seine Fürsorge darzustellen: »Wer bereitet dem Raben sein Futter, wenn seine Jungen zu Gott schreien, umherirren ohne Nahrung?« (Hi 38,41) und »Er ernährt … die jungen Raben, die nach Nahrung schreien« (Ps 147,9 NLÜ) und »Schaut euch die Raben an! Sie säen nicht, sie ernten nicht und haben weder Speicher noch Scheune.« Gott ernährt sie, Er ist im besten Wortsinn ein »Rabenvater«. »Und ihr? Ihr seid doch viel mehr wert als die Vögel!« (Lk 12,24 NeÜ). Er stellt uns diesen unreinen und verachteten Vogel vor und zeigt, wie viel mehr wir ihm bedeuten. Wenn er selbst das Schreien der jungen Raben hört, wie viel mehr hört er dann das Gebet seiner Erlösten!

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»Ich nehme alles« sprach der Rabe »nicht, dass ich´s brauch, nur dass ich´s habe!« Weil Raben einen hohen Futterbedarf haben und ganz unterschiedliche Nahrung verwerten können, unter anderem auch menschliche Abfälle, galten sie schon immer als gierig, verfressen und diebisch. »Stehlen wie ein Rabe« ist eine stehende Redewendung. Dass Gott gerade diese Plünderer benutzt, um seinen Propheten in der Wildnis zu versorgen, ist daher ein besonderer Machterweis. Elia bekommt »Essen auf Raben«: »Geh fort von hier und wende dich nach Osten, und verbirg dich am Bach Krith, der vor dem Jordan ist. Und es soll geschehen: Aus dem Bach wirst du trinken, und ich habe den Raben geboten, dich dort zu versorgen. Und er ging hin und tat nach dem Wort des Herrn: Er ging hin und blieb am Bach Krith, der vor dem Jordan ist. Und die Raben brachten ihm Brot und Fleisch am Morgen und Brot und Fleisch am Abend, und er trank aus dem Bach« (1Kön 17,3-6).
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Da Raben und Krähen sich im Gegensatz zu Geiern nicht scheuen, auch in der Nähe menschlicher Besiedlung nach Nahrung zu suchen, machen sie sich auch häufiger als Geier über menschliche Leichname her. Ihre Schnäbel sind aber Allzweckwerkzeuge und nicht in der Lage, zähe Haut aufzureißen. Wenn sie an einem frischen Kadaver eintreffen, sind ihnen zunächst nur die Augen zugänglich. Und tatsächlich beobachtet man, dass sie sich zuerst daran gütlich tun, wie es der Spruchdichter oder -sammler Agur bereits beschreibt: »Wer verächtlich auf seinen Vater herabsieht und seiner Mutter den schuldigen Gehorsam verweigert, dem werden die Raben die Augen aushacken …« (Spr 30,17 GN).
Der schaurige Ruf als Galgenvögel eilt ihnen voraus und sie werden häufig in Verbindung mit okkulten Praktiken, Hexen, Zauberern und Wahrsagern dargestellt. Ihr Auftauchen wird als schlechtes Vorzeichen gewertet, weshalb man vom »Unglücksraben« spricht. Ihre schwarze Gestalt mit den metallisch glänzenden Federn und ihr kehliges Gekrächze wirken unheimlich. Zusammen mit Elstern und Eichelhähern werden sie in der Jägersprache als »Raubzeug« bezeichnet. Sie fliegen nicht besonders elegant, ihr Herumgehüpfe am Boden wirkt unbeholfen, sie können weder klettern noch schwimmen und sehen schon als Jugendliche alt aus. Zudem bewohnen sie auch noch Ruinen, wie es hier von den zerstörten Städten Edoms gesagt wird: »Raben werden darin wohnen; die Messschnur der Verwüstung wird Er darüber spannen und das Richtblei der Verödung« (Jes 34,11b SB).

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Vielleicht waren die Rabenvögel den Menschen auch deshalb unheimlich, weil sie immer wieder Zeuge ihrer bemerkenswerten Intelligenz wurden. Fleisch, Fisch oder Dörrobst wurden häufig an Stangen zum Trocknen aufgehängt. Netze oder Gitter sollten sie vor Tieren schützen, aber den »diebischen Schwarzarbeitern« gelang es mit Geduld und Einfallsreichtum irgendwie doch an die Leckerbissen zu gelangen. Das Einholen eines Nahrungsbrockens, der an einem Faden herabbaumelt, gehört dabei zu ihren leichtesten Übungen. Viel erstaunlicher ist, dass sie offensichtlich sehr gut dazu in der Lage sind, räumliche Beziehungen zwischen Gegenständen zu »verstehen«. In einem aufsehenerregenden Experiment konnte gezeigt werden, dass Krähen mehrere Elemente zu einem Werkzeug zusammenstecken können, um damit nach dem Objekt ihrer Begierde zu angeln. Nicht nur im Labor, sondern auch in freier Natur wurden sie vielfach beim kreativen Werkzeuggebrauch beobachtet.

Es gibt eine Reihe von Berichten darüber, wie Krähen Walnüsse auf die Straße legen, sie von Autos überfahren lassen und so an den Inhalt gelangen. Systematisch untersucht wurde dieses Verhalten von Forschern in Japan, die auch dokumentieren konnten, dass die Tiere die Technik voneinander abschauen und erlernen. So breitet sich diese Methode immer weiter aus.
Als eindeutiges »Intelligenzmerkmal« gelten die Fähigkeiten, sich in die Lage eines Artgenossen hineinzuversetzen, was eine Voraussetzung für arglistige Täuschungsmanöver ist, und sich selbst zu erkennen, was in Spiegelexperimenten beobachtet werden konnte. Beide Disziplinen beherrschen Rabenvögel. Außerdem ist ihr Ortsgedächtnis phänomenal. Im Sommer angelegte Nahrungsverstecke, zum Teil mitten auf großen Freiflächen, finden sie im Winter unter der Schneedecke punktgenau wieder. Kein Wunder, dass man ihnen leicht das Kartenspiel »Memory« beibringen kann und sie darin für Menschen unschlagbar sind.
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Zur Gattung Corvus zählt auch die Saatkrähe (Corvus frugilegus). Sie kommt in Israel nur als Wintergast vor, lebt aber ganzjährig in Griechenland und in der Türkei. In deutschen Bibeln sucht man sie vergeblich. Nur sehr genaue Übersetzungen wie die ÜElb weisen in der Anmerkung darauf hin, dass sie sich hinter dem Ausdruck »Schwätzer« versteckt. In dieser Formulierung wird der Sinn erkenn bar: »Was will eigentlich dieser sonderbare Vogel mit seinen aufgepickten Weisheiten?« (Apg 17,18 NeÜ). Die Griechen bezeichneten Paulus verächtlich als spermologos – Saatkrähe.
Eine Saatkrähe pickt mal auf diesem, mal auf jenem Feld das auf, was andere gesät haben. Diesen Vorwurf erhoben Epikureer und Stoiker auf dem Areopag in Athen. Als Vertreter der großen philosophischen Schulen sahen sie sich mit einer Lehre konfrontiert, die sie nicht in ihr System einsortieren konnten, daher spotteten sie darüber: »Man nehme eine archaische Stammesreligion, peppe sie mit einigen radikalen Konzepten wie Feindesliebe und weltweiter Verbrüderung auf, würze das Ganze mit mystischen Ideen wie ‚Toten Auferstehung‘, mische eine große Portion Personenkult unter und serviere das ganze vor der Drohkulisse eines furchtbaren Gerichts.« So ähnlich klingen heute noch die Vorwürfe naturalistischer Philosophen, die den christlichen Glauben »entzaubern« möchten. Es ist großartig, dass der Zugang zum Evangelium nur durch Glauben möglich ist, und nicht durch Mystik oder Philosophie, wie Paulus es den Korinthern erklärt: »Die Juden wollen Wunder sehen, die Griechen fordern kluge Argumente. Wir jedoch verkünden Christus, den gekreuzigten Messias. Für die Juden ist diese Botschaft eine Gotteslästerung und für die anderen Völker völliger Unsinn. Für die hingegen, die Gott berufen hat, Juden wie Nichtjuden, erweist sich Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit« (1Kor 1,22-24 NGÜ).

Quellennachweis:
Bayern, AMP von; Danel, S; Auersperg, AMI: Compound tool construction by New Caledonian crows. Scientific Reports 2018; 8:15676; doi:10.1038/s41598-018-33458-z
Cookson, C: ‘Astonishing’ New Caledonian crows make complex tools. Financial Times, Science Report 24.10.2018; https:// www.ft.com/content/5cf8b776-d611-11e8-ab8e-6be0d cf18713
https://www.scinexx.de/news/biowissen/kraehen-spielen-memory-ohne-grosshirnrinde
Nihei, Y; Hicuchi, H: When and where did crows learn to use automobiles as nutcrackers? Tohoku Psychologica Folia 2001; 60:93-97
Reichholf, JH: Rabenschwarze Intelligenz: Was wir von Krähen lernen können. München (Piper Taschenbuch) 2011
Veit, L; Hartmann, K; Nieder, N: Neuronal Correlates of Visu al Working Memory in the Corvid Endbrain. Journal of Neuroscience 2014; 34(23):7778-7786; doi: 10.1523/JNEUROSCI.0612-14.2014
Bildquellen:
Wikipedia: Towerraben / Colin
andere Lizenzen: Krähen und Geier am Fraß / AdobeStock_181517813.jpeg / Tatiana // Saatkrähen auf Feld / shutterstock_58492297.jpg / Vishnevskiy Vasily
Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/federfuehrer
