Von Panthera leo heißt es: »Der Löwe, der Held unter den Tieren – er weicht vor nichts zurück« (Spr 30,30 SB).
Die furchteinflößende Raubkatze war in Nordafrika, Südosteuropa, der Levante und ganz Vorderasien bis nach Indien hin – und fossil auch in Amerika – weit verbreitet. Durch intensive Bejagung starben allerdings viele Populationen im Gebiet des Römischen Reichs bereits in der Spätantike aus. In Israel konnte er sich immerhin bis ins Mittelalter und in Nordafrika sogar bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein behaupten. Aber heute ist er wildlebend nur noch südlich der Sahara zu finden.
leo:nesisch
Der Löwe wird in 125 Versen der Bibel erwähnt. Auch wenn der Titel »König der Tiere« an den Leviathan geht (Hi 41,26), der in einer ganz anderen Liga spielt, ist er doch das meistverwendete Symbol für Majestät, Macht und Kraftentfaltung. Seine große Bedeutung zeigt sich auch in den vielen verschiedenen Namen, mit denen er bezeichnet wird.
Am häufigsten wird das hebräische ari und das aramäische arie verwendet (80x), das den männlichen Löwen im Besonderen und die Art im Allgemeinen bezeichnet. Es ist von dem Verb ara – »abreißen« abgeleitet und begegnet uns auch im Löwenherz (2Sam 17,10), in Löwen-Angesichtern (1Chr 12,9), in Löwenzähnen (Joel 1,6) und der Löwengrube (Dan 6,8.13.17.20.25). In der Form ari’el – »Gotteslöwe« bezeichnet es berühmte Kriegshelden (2Sam 23,20; 1Chr 11,22) und die (Helden-)Stadt Jerusalem (Jes 29,1.2.7). Manche Männer hießen Ari oder Arjeh (2Kön 15,25) und Ariel (Esr 8,16) – bis heute sind es beliebte Vornamen (für Jungen und Mädchen). Auch Aridata – »stark wie ein Löwe« (Est 9,8), Arioch – »löwengleich« (1Mo 14,1.9; Dan 2,14.15.24.25) und Arisai – »Löwenbanner« (Est 9,9) sind Namen, in denen der Löwe steckt.
Die Löwin wird labi genannt (14x). Das Wort steht in der männlichen Nominalform, was für ein weibliches Tier ungewöhnlich ist. Aber schließlich kämpft sie nicht weniger heldenhaft als er und wird meistens mit ihm zusammen im gleichen Vers erwähnt. Im Plural kommt es in dem Ortsnamen Beth-Lebaot (Jos 15,32; 19,6) – »Haus der Löwinnen« vor. Ob man dort wohl gerne wohnen möchte?
Eventuell leitet sich sogar das griechische leon, das den Löwen im Neuen Testament bezeichnet (9x) davon ab. Die vielen Leos, Leons, Leonies, Leolas, Leonardos, Leonidas’ und Lionels belegen, dass löwische Namen noch immer im Trend liegen. Die halbwüchsigen Junglöwen werden als kefir bezeichnet (31x). Die weibliche Form kommt nur als Ortsname Kephira (Jos 9,17; 18,26; Esr 2,25; Neh 7,29) – »junge Löwin« vor. Die Welpen heißen gur oder gor (7x). Dann gibt es für den Heldenlöwen noch das poetische lajisch (Hi 4,11; Spr 30,30; Jes 30,6), das sich von dem Verb lusch – »kneten, bedrücken« ableitet und auch als Personen- (1Sam 25,44; 2Sam 3,15) und Ortsname (Ri 18,7.14.27; Jes 10,30) zu finden ist. Außerdem sind da noch die bildhaften Ausdrücke wie schachal – »Brüller« (7x), okel – »Fresser« und az – »Starker« (beide Ri 14,14). Womit wir beim nächsten Thema wären …
spitzen:leistung
»Was ist stärker als ein Löwe?« (Ri 14,18) – die Hochzeitsgäste Simsons im philistäischen Timna tun so, als sei es selbstverständlich, wen er in seinem Rätsel als »Starken« bezeichnet hat. Zwar hatten sie sich die richtige Antwort hinterlistig erschlichen, aber auf diesen Teil der Lösung wären sie vielleicht auch so gekommen. Denn der Löwe ist das Bild gewaltsamer Kraftentfaltung, wie dieser Vergleich zeigt: »Saul und Jonathan […] waren stärker als Löwen« (2Sam 1,23 Einh).
Natürlich ist jedes große Tier irgendwie »stark«. Erst in jüngster Zeit stehen Untersuchungsmethoden zur Verfügung, mit denen man festgestellt hat, dass spezielle Muskelfasern (Typ II-x) der Raubkatzen sich physiologisch von denen anderer Tiere unterscheiden und besonders leistungsfähig sind. Da die Löwen (zusammen mit den Tigern) die größten Raubkatzen sind, entwickeln sie auch die absoluten Maxima im Energieumsatz. Die entsprechenden Parameter sind genau bestimmt worden.

Als sogenannter »Spitzenprädator« steht der Löwe ganz oben in den Nahrungsketten der Savanne. Kaum ein Mitbewohner ist vor ihm sicher. Er bevorzugt Beutetiere, die deutlich schwerer sind als er selbst, manchmal mehr als doppelt so schwer, und ist in der Lage, sie zu Boden zu bringen, zu fixieren und zu töten. Im direkten Vergleich mit einem Zebra, das größer, im Laufen schneller und ausdauernder und im Durchschnitt auch schwerer ist, ermittelte man für den Löwen 20% mehr Muskelfaser-Leistung, eine 37% stärkere Beschleunigung und 72% mehr »Bremsleistung«.
Das alles würde dem Löwen nichts nützen, wenn das Zebra ihm einfach davonliefe. Wenn er allein jagt, sind deswegen die ersten Sekunden entscheidend. Dicht an den Boden geduckt und jede Deckung ausnutzend versucht er, möglichst nah an sein Opfer heranzukommen, ohne bemerkt zu werden. Diese Lauerjagd wird in der Bibel vielfach treffend beschrieben: »Er duckt sich, er legt sich nieder wie ein Löwe« (1Mo 49,9; 4Mo 24,9); »Er lauert im Verborgenen wie ein Löwe im dichten Gebüsch« (Ps 10,9 SB); »Ich aber bin für sie wie ein Löwe geworden, wie eine Raubkatze lauere ich am Weg« (Hos 13,7 Zü); »Kannst du für eine Löwin auf Beutezug gehen und den Hunger der jungen Löwen stillen, wenn sie in ihrem Unterschlupf kauern oder im Dickicht auf der Lauer liegen?« (Hi 38,39.40 NLÜ). Der besondere Clou ist dann der fulminante Start: »wie ein junger Löwe, der aus dem Dickicht von Baschan hervorspringt« (5Mo 33,22 HfA). Der Löwe eröffnet die Jagd mit einem gewaltigen, bis zu sieben Meter weiten Satz, wobei er sich mit 85 Stundenkilometern aus seinem Ansitz katapultiert. Dieser Impuls geht in einen Sprint über, indem er mit 60 Stundenkilometern auf die Herde zuprescht. Die Zebras reagieren fast augenblicklich und stieben davon, sind aber nicht so stark im Antritt wie der Löwe, der dicht zu ihnen aufschließt. Wenn das Gelände keine Umwege erzwingt und sie ihr volles Tempo erreichen können, lassen sie ihn allerdings bald hinter sich, sodass überwiegend alte oder kranke Tiere gerissen werden.
katzen:futter
In Tierfilmen sind Löwen meistens bei der Jagd auf Huftiere zu sehen. Zebras, Gnus, Afrikanische Büffel, Antilopen, Gazellen und Warzenschweine teilen fast überall den gleichen Lebensraum und gelten als Lieblingsspeise. Nach dem Riss versuchen mitunter Schakale und Geier etwas von der Beute zu stibitzen. Sie sollten besser abwarten, bis die Raubkatzen satt sind, um nicht als Nachtisch zu enden. Das Gleiche gilt für Hyänen, die sich im Rudel manchmal stark genug fühlen, ihnen den Raub streitig zu machen.
Ihre Bestimmung als Fleischfresser legen Löwen großzügig aus, sodass man sie in seichten Lagunen beim Fischen beobachten kann und auch vorbeikrabbelnde Insekten nicht verschmäht werden. Auf Nahrungskonkurrenten sind sie gar nicht gut zu sprechen. Leoparden, Geparde und Wildhunde sollten einen großen Bogen um ein Löwenrudel machen. Für kleine Appetithappen wie Vögel, Hasen, Mäuse und andere Nagetiere lohnt sich eine Verfolgung nicht, aber wenn die Gelegenheit günstig ist, sind sie eine willkommene Abwechslung. Nur sehr unerfahrene Tiere legen sich dagegen mit einem Stachelschwein an, was ihnen meistens nicht gut bekommt.

Da Löwen in Bezug auf ihr Jagdverhalten überaus anpassungsfähig sind, ist es schwer, ein typisches Schema zu beschreiben. Meistens jagen sie nachts, aber wenn das Gelände genügend Deckung bietet oder sie sich dem Rhythmus ihrer Beutetiere anpassen, sind sie auch tagsüber aktiv. Gewöhnlich bilden die genannten Huftiere ihre Hauptnahrung, aber einzelne Rudel spezialisieren sich darüber hinaus auf Strauße, Giraffen, Flusspferde, Krokodile, Elefanten und Nashörner (bei denen sie allerdings nur die Jungtiere überwältigen können). An der namibischen Atlantikküste überraschen sie sogar die trägen Südafrikanischen Seebären bei ihrem Sonnenbad.
Auch die angewandte Taktik ist unterschiedlich. Je dichter das Gelände bewachsen ist und je mehr Beutetiere es gibt, desto eher jagen sie allein. In offenen Lebensräumen ziehen sie dagegen bevorzugt zusammen los. Wenn es nur wenig zu holen gibt, machen auch die Männchen mit, die sich sonst nur selten an der Gruppenjagd beteiligen. Das ganze Rudel läuft dann zur Höchstform auf und performt ein perfektes Zusammenspiel von Treibern, die eine Herde einkreisen und in eine bestimmte Richtung scheuchen, und Greifern, die genau dort auf der Lauer liegen und sich erstaunlich schnell einig sind, auf welches Opfer sie es abgesehen haben. Große Beutetiere wie Zebras, Gnus und Büffel werden getötet, indem der Löwe sich in ihre Kehle verbeißt und ihnen dadurch die Luftröhre abklemmt – sie werden erdrosselt, so wie es in der Bibel mit dem speziellen Verb chanak beschrieben wird (Nah 2,13; vgl. 2Sam 17,23).
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Man sollte annehmen, dass der Tisch für einen fleischfressenden Generalisten und Opportunisten mit derart breitem Beutespektrum immer reich gedeckt ist. Deshalb verwundert es vielleicht, dass gerade der Hunger der Löwen in mehreren Versen erwähnt wird: »Junge Löwen darben und hungern …« (Ps 34,11); »Der Löwe kommt um, wenn er keine Beute hat, und die Jungen der Löwin werden zerstreut« (Hi 4,11 Lu); »Die jungen Löwen brüllen nach Raub und fordern von Gott ihre Nahrung.« (Ps 104,21); »Erjagst du der Löwin den Raub, und stillst du die Gier der jungen Löwen …« (Hi 38,39). Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, wie treffend diese Beschreibungen sind. Die häufigste Todesursache des Löwen ist tatsächlich das Verhungern. Er ist zwar ein erfolgreicher Jäger, zahlt dafür aber mit einer hohen Stoffwechselrate. Sein Körper besteht zu über 60% aus Muskeln und hat einen immensen Energieumsatz. Der tägliche Nahrungsbedarf liegt zwischen fünf und zehn Kilogramm Fleisch. Damit diese Rechnung überhaupt aufgeht, muss er gelegentlich bis zu vierzig Kilogramm auf einmal verschlingen und Kraft sparen, indem er die meiste Zeit im Schatten vor sich hindöst.
Trotz aller Anpassungen sorgen schon kleine Schwankungen im sensiblen Gleichgewicht seiner Umwelt dafür, dass es an der Spitze der Nahrungspyramide eng wird. Bei unzureichender Ernährung kann er nicht mehr seine volle Leistung abrufen – »et löwt nit«, der Jagderfolg sinkt, und eine Abwärtsspirale beginnt. Dazu wird das Verletzungsrisiko immer größer, denn die meisten Beutetiere sind durchaus nicht wehrlos, und ein geschwächter Löwe gerät schnell unter die Hufe. Manche Rudel verlegen sich dann auf neue Strategien. Sie reißen Haustiere wie Schafe, Ziegen und Kühe und werden dabei nicht selten von den Hirten gestellt und getötet (wie in 1Sam 17,34-36; Jes 31,4 und Am 3,12 beschrieben). Sie nehmen den Hyänen ihren Raub ab, was auch mit gefährlichen Kämpfen verbunden ist, oder suchen nach Aas, wobei sie die kreisenden Geier beobachten. In solchen Phasen der Nahrungsknappheit werden die Jungtiere vernachlässigt. Sie sind die ersten, die sterben, weil sich ihre Mütter und das Rudel nicht mehr um sie kümmern.
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Es ist für ein Raubtier sehr ungewöhnlich, den Menschen als Hauptgericht auf seine Speisekarte zu setzen, aber bei Löwen ist das manchmal der Fall. Mehrfach kam es vor, dass ganze Populationen gezielt Menschenjagd betrieben. Das wurde zum Beispiel beobachtet, nach dem man in ihrem Lebensraum absichtlich alle Huftiere ausgerottet hatte, um die Ausbreitung der Rinderpest zu stoppen. Niemand hatte sich Gedanken darüber gemacht, wovon die Löwen jetzt leben sollten. Wahrscheinlich lag eine ähnliche Situation in dem ausgeplünderten und verwüsteten Nordreich Israels vor, als Gott die Löwen dort zu einer gefährlichen Plage werden ließ (2Kön 17,24-26). Ihre Anwesenheit ist nicht zu überhören, denn das gewaltige Brüllen mit einer Lautstärke von 114 dB trägt 8-10 Kilometer weit. Allerdings sind die Tiere erst im Alter von etwa zwei Jahren dazu in der Lage, es erschallen zu lassen – vorher knurren sie nur (Spr 19,12; 20,2; Jer 51,38).
In der bekanntesten Serie von Löwenangriffen, die durch menschengemachte Nahrungsknappheit verursacht wurden, töteten zwei Löwen im Jahr 1898 in wenigen Monaten 135 indische und afrikanische Eisenbahnarbeiter, die sie zum Teil in ihren umzäunten Camps am Tsavo-Fluss (Kenia) überfielen. Auch wenn derartige Berichte teilweise übertrieben werden und die Zahlen möglicherweise überhöht sind, kann man sich gut vorstellen, welchen Schrecken diese Killerkatzen verbreiten. Bei einzelnen Exemplaren sind oft konkrete Ursachen erkennbar – halbblinden, hinkenden oder stark geschwächten Einzelgängern bleiben nur wenige Optionen. Ganz selten werden auch gesunde Tiere zu Menschenfressern, wenn sie zufällig entdecken, was für eine überraschend leichte Beute ein einzelner, unbewaffneter Mensch ist (vgl. Hes 19,3-6). Die Bibel drückt das in einem Vergleich mit dem schrecklichsten aller Feinde sehr treffend aus: »Seid nüchtern, wacht; euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.« (1Pet 5,8). Das griechische Wort für »verschlingen« ist katapino – »ganz verschlucken« oder »(wie ein Getränk) hinunterstürzen«. Ohne einen starken Schutz wie die »Waffenrüstung Gottes« (Eph 6,10-18) und Seine Bewahrung könnte Satan, der »Menschenmörder von Anfang an« (Jh 8,44), seine Opfer geradezu »wegschlürfen«.

löwen:zahn
Wenn die Kraft des Löwen auf gegnerischer Seite steht, ist er das Symbol eines mächtigen Widersachers. Natürlicherweise repräsentiert er damit die gefallene Schöpfung, die allen Geschöpfen, auch dem Menschen, feindlich gegenübersteht und auch von Gott zum Gericht benutzt wird (Ri 14,5; 1Sam 17,34; 1Kön 13,24; 20,36; 2Kön 17,25). Das wird sich erst in Zukunft ändern: »der junge Löwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben … und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.« (Jes 11,6.7; 65,25).
Im übertragenen Sinn steht der Löwe häufig als Symbol für Völker, die als Kriegsgegner auftreten (Jes 5,29; Jer 4,7; 50,17.44) und menschliche Widersacher (2Sam 23,20; 1Chr 11,22; Ps 7,3; 10,9.10; 17,12; 22,14; 57,5; 58,7; Hes 22,25; 32,2), hinter denen als treibende Kraft oft Satan selbst steht, wie bei dem schrecklichen Kaiser Nero (2Tim 4,17). Paulus beschreibt die Auseinandersetzung mit (menschlichen) Gegnern in Ephesus mit dem Ausdruck etheriomachesa (1Kor 15,32) – »ich kämpfte mit wilden Tieren«.
Aber auch Gott tritt als reißender Löwe auf (Jer 25,38; 50,17). In diesem Fall ist das Bild ambivalent – für Sein Volk ist Er der Retter, für die Feinde der Richter und Vernichter. Dieser Gegensatz lässt sich auch daran erkennen, wie Gott in Zukunft durch Sein erneuertes Volk, den »Überrest Jakobs«, handeln wird. Für alle Menschen, die das »Evangelium des Reiches« annehmen und die Herrschaft des Messias begrüßen, werden sie belebend und erfrischend »sein wie ein Tau von dem Herrn, wie Regenschauer auf das Kraut« (Mich 5,6). Aber für alle, die sich widersetzen und die Herrschaft des Messias ablehnen, werden sie »sein wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes, wie ein junger Löwe unter den Schafherden, der, wenn er hindurchgeht, zertritt und zerreißt, und niemand errettet« (Mich 5,7). Löwenzähne sind das Sinnbild des Schreckens schlechthin (Joel 1,6).
Am stärksten beeindruckt das Bild des Löwen, wenn es auf den Herrn Jesus selbst angewandt wird. Die Anwesenheit von Löwen kann ein Grund oder Vorwand sein, zuhause zu bleiben und sich gar nicht erst auf den Weg zu machen: »Der Faule sagt: Draußen ist ein Löwe, auf offener Straße könnte ich getötet werden« (Spr 22,13 ZÜ, vgl. 26,13). Der Herr wusste, dass auf der Erde »Löwen« auf Ihn warteten (Ps 22,14) und selbst Gott Ihm im Gericht über die Sünde der Menschen wie ein Löwe (Klg 3,10) begegnen würde. Aber Er war weder faul noch feige, sondern eifrig, beharrlich, mutig und entschlossen, verließ »Sein Haus« und gab Sein Leben freiwillig am Kreuz hin, um Menschen retten zu können, wenn sie Ihn annehmen.
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Kraft, Aggressivität, Durchsetzungsvermögen, die aufrechte Haltung, eine wallende Mähne, sein durchdringender Blick und sein markerschütterndes Brüllen – viele Kennzeichen verleihen dem Löwen ein ehrfurchtgebietendes Erscheinungsbild. Er ist prädestiniert dafür, Herrschaft zu symbolisieren und deswegen auch das wichtigste Wappentier in der Heraldik.

In der Heraldik gelten bestimmte Regeln und ein besonderes Fachvokabular – dieser Löwe wird darin als »steigend, ausgreifend und rechtsgewandt« bezeichnet (was dem Standard entspricht). Weder die Blaufärbung seiner »ausgeschlagenen« Zunge und Krallen (die zusammen»Bewehrung« genannt werden), noch die rote Fellfarbe oder der »geteilte und gekreuzte« Schwanz haben etwas mit dem natürlichen Erscheinungsbild des Löwen zu tun. Möglicherweise galten vergleichbare »Design-Vorgaben« zum Teil auch für antike Tierdarstellungen.
Salomo übertraf in seiner Prachtentfaltung alle anderen Regenten. Der Löwenthron, den er sich aus vergoldetem Elfenbein anfertigen ließ, war so außergewöhnlich, dass es heißt: »Derartiges ist nicht gemacht worden in irgendeinem Königreich« (1Kön 10,20). Sieben Löwen standen auf der rechten und sieben auf der linken Seite der Treppe, die zu seinem Thron heraufführte, wobei sich das letzte Paar neben den Armlehnen befand. Es ist offensichtlich, dass er sich, den großen König, als »Oberlöwen« betrachtete, auf den alles zulief. In seiner Spruchsammlung greift er dieses Bild auf: »Der Zorn des Königs ist wie das Knurren eines jungen Löwen, aber sein Wohlgefallen wie Tau auf das Gras« (Spr 19,12) und »Der Schrecken des Königs ist wie das Knurren eines jungen Löwen; wer ihn gegen sich aufbringt, verwirkt sein Leben« (Spr 20,2). Der Name Salomo bedeutet »der Friedliche«, und Gott selbst verleiht ihm den Zunamen »Jedidjah« – »Geliebter des HERRN« (2Sam 12,25). Er ist ein Prototyp, ein Vorgänger des wahren Friedenskönigs Jesus Christus. In den lebendigen Wesen, die verschiedene Perspektiven auf den Herrn zeigen (Hes 1,10; 10,14; Offb 4,7), steht das Löwenangesicht für Sein Königtum – und wenn Er Seine Herrschaft antritt, wird Er für alle als »der Löwe aus dem Stamm Juda« (Offb 5,5) offenbar.

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Was für die jüdischen Zeitgenossen Jesu (und selbst für Seine engsten Wegbegleiter) schwer zusammenzubringen war, ist die Tatsache, dass es noch ein sehr gegensätzliches Symbol in der Prophetie über den kommenden Messias gab: »Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf.« (Jes 53,7).
Während sich ein bedrängter Löwe verteidigt und bis zum letzten Blutstropfen kämpft, ist ein Schaf wehr- und hilflos – und während schon das Gebrüll eines Löwen seine Feinde erzittern lässt (Am 3,8), bleibt das Lamm stumm. Wie diese konträren Voraussagen sich in ein und derselben Person erfüllen könnten, blieb ein tiefes Geheimnis – bis sich in Jesus Christus offenbarte, »was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz aufgekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben« (1Kor 2,9): als Er herabkam auf die Erde, wo Ihn kein Thron und keine Armlehnen erwarteten, sondern eine Schädelstätte und ein Kreuz, an dem Er als »Lamm Gottes« (Jh 1,29.36) für die Schuld und Sünde vieler Menschen starb. Sein Weg führte »vom Löwenthron in die Löwengrube«.
Zur Überwindung des Bösen brauchte es an erster Stelle Liebe, selbstlose Hingabe und Gnade, und erst an zweiter Stelle Macht und gerechte Herrschaft. Deswegen begegnet uns am Ende, an dem bedeutendsten aller Throne, der Löwe in Gestalt eines Lammes: »Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist, die Wurzel Davids […] Und ich sah inmitten des Thrones […] ein Lamm stehen wie geschlachtet« (Offb 5,5.6). Das Lamm mit den tödlichen Wunden – »wie geschlachtet« (als Opfertier) – aber offensichtlich lebend »stehend« ist der gestorbene und auferstandene Herr Jesus. Es gab viele gewaltige Herrscher unter Menschen und Engeln, aber die »Lammesart« ist Sein herausragendes und alles überwindendes Merkmal.
Im zukünftigen Friedensreich Seiner Regierung wird sich der »Ariel«, der oberste Teil des Brandopferaltars, 1.000 Jahre lang im Zentrum des riesigen quadratisch angelegten Tempelbezirks befinden (Hes 43,15.16) – der auch daran erinnert, dass Jesus, der wahre Löwe, sich einst freiwillig geopfert hat.


königs:wahl
Wer ist der mächtigste Räuber zu Lande? Wer gewinnt, wenn Löwe und Tiger 1:1 gegeneinander kämpfen? Diese Frage hat den Autor schon als Kind bewegt. Allerdings gibt es darauf keine einfache Antwort.
Zunächst ein Vergleich der Kontrahenten: Beide Raubkatzen sind gewaltige Muskelpakete, kämpfen ausdauernd, konzentriert, mit vollem Einsatz und dem Ziel, zu töten. Der Tiger ist eindeutig der »Sportlichere«. Er ist wendiger, kann schneller laufen, weiter springen, besser klettern und schwimmen, und räumt auch die Maximalwerte in Größe, Gewicht und absoluter Körperkraft ab. Er kann sein Maul weiter aufreißen, hat die längeren Reißzähne, die schärferen Krallen, die breiteren Tatzen und das größere Gehirn. Dafür hat der Löwe die größere Beißkraft und teilt die kräftigeren Prankenhiebe aus. Ein großer Vorteil ist die zottige und dichte Mähne, die den empfindlichen Hals schützt – den Punkt, auf den der Tiger seine Angriffe konzentriert. Außerdem ist er gewohnt, sich immer wieder in heftigen Kämpfen gegen Rivalen durchzusetzen und im Alleingang äußerst wehrhafte Beutetiere niederzuringen, während der Tiger nur selten gegen Artgenossen kämpft und bei der Jagd leichte Beute bevorzugt. Trotz seines kleineren Gehirns schätzen viele Dompteure, die mit beiden Arten arbeiten, den Löwen als intelligenter ein. Bei diesem Mosaik lässt sich kaum vorhersagen, wer die besseren Karten hat.
Die Römer veranstalteten einige Jahrhunderte lang grausame Tierkämpfe in ihren Arenen, bei denen auch dieses Pairing auf dem Programm stand. Die überlieferten Berichte erwecken den Eindruck, dass sie den Löwen in der Favoritenrolle sahen. Man muss aber dazusagen, dass sie bevorzugt Berberlöwen (hist.: Felis leo barbaricus) einsetzten, die in Nordafrika eingefangen wurden. Dabei handelt es sich um die größte Unterart des Löwen, die dann meistens auf den Persischen Tiger (Panthera tigris virgata) traf, eine nur mittelgroße Unterart des Tigers.
Auch indische Maharadschas richteten Tierkämpfe aus. Sie ließen den Königs- oder Bengaltiger (Panthera tigris tigris) gegen den deutlich kleineren Asiatischen Löwen (Panthera leo persica) antreten. Es verwundert kaum, dass sie den Tiger als überlegen ansahen. Dabei gibt es sogar eine noch größere Unterart, den gewaltigen Sibirischen Tiger (Panthera tigris altaica), der vermutlich kaum je einem Löwen begegnet ist. Insgesamt sieht es so aus, dass man in Europa und im Nahen Osten eher dem Löwen und in Indien und Fernost eher dem Tiger die Königswürde zuerkannte, obwohl auch Indien heute den Löwen im Wappen führt. Diese kulturelle Prägung wurde wahrscheinlich auf die Gestaltung und Bewertung der Zweikämpfe übertragen.
So spannend die Frage auch ist, sieht man doch, wie wenig aussagekräftig die Ergebnisse menschengemachter Tierhetzen sind. Selbst innerhalb der gleichen Population gibt es große Unterschiede in Größe, Konstitution und Kampferfahrung. Wenn dann noch die Variationen der Unterarten ins Spiel kommen, lassen sich kaum wissenschaftliche Aussagen zur Überlegenheit machen. In Zoos und Zirkusmenagerien kam es immer wieder mal zu dokumentierten Zusammenstößen – aber in freier Wildbahn hat dieses Duell wohl nur selten stattgefunden. Zum einen überschneiden sich die Verbreitungsgebiete beider Arten kaum, zum anderen gehen sie sich gewöhnlich aus dem Weg. Außerdem ist der Tiger als Einzelgänger unterwegs, während Löwen, anders als alle anderen Katzen, dauerhaft in Rudeln miteinander leben und sich gegenseitig unterstützen, sodass ihnen bei einer derartigen Konfrontation in der Regel das ganze Rudel zu Hilfe eilen würde.
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Bildnachweis:
Wildlife photos: Marc Walter
Wikipedia: Christenverfolgung Kolosseum / Jean-Léon_Gérôme_The_Christian_Martyrs’_Last_Prayer.jpg / Walters Art Museum // Bergischer Löwe – Remscheid / Remscheid_Bergischer_Löwe_02.jpg // Daniel in der Löwengrube / Daniel’s_Answer_to_the_King.jpg / allposters // Seringapatam Medallie / Seringapatam_Medal_obv.jpg / Lubicz
Link zum Buch: https://www.daniel-verlag.de/produkt/landlaeufer
